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„Im Falle eines nuklearen Auswurfs...“

Der Generaldirektor des AKW Greifswald, Lehmann, zur möglichen Stillegung, zu Evakuierungsplänen und West-Ost-Geschäften  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Lehmann, ist die Stillegung der Blöcke 1 bis 4 in Greifswald schon beschlossen?

Reiner Lehmann: Nein, eine abgeschlossene Meinung haben wir nicht. Sicherlich werden diese Blöcke nur noch begrenzte Zeit am Netz bleiben. Da machen wir uns überhaupt keine Illusionen. Aber man muß jetzt die Studie abwarten, die bis zum April gemacht wird, man muß alles Für und Wider abwägen, man muß Alternativkonzeptionen suchen für die Elektroenergie und Wärmeversorgung und muß dann - das bitteschön auch blockbezogen, denn es ist nicht jeder Reaktorblock wie der andere - eine Auslaufstrategie erarbeiten, daß man diese Anlage, sagen wir, bis zum Jahr 2000 vollständig außer Betrieb nimmt.

Bleiben Block 1 und 2 nach dem nächsten Brennelementwechsel weiter in Betrieb?

Ich möchte dem wirklich nicht vorgreifen. Es ist sowohl das eine als auch das andere möglich.

Was passiert mit der Fernwärmeversorgung hier in Greifswald und Umgebung, wenn Block 1 und 2 stillgelegt werden?

Zunächst: Ohne alle vier Blöcke ist das überhaupt nicht zu kompensieren. Denn 220 Megawatt, die wir für die Fernwärmeversorgung auskoppeln, sind eine recht große Wärmeleistung. Man müßte dann eine Ersatzleistung in konventioneller Bauweise installieren. Ich wage zu bezweifeln, ob das in den verbleibenden Sommermonaten möglich ist. Das wäre eine sehr, sehr komplizierte Sache. Die Wärmeleistung kommt jetzt je zur Hälfte aus den Blöcken 1 und 2 und den Blöcken 3 und 4. Wir überlegen eine Variante, wie man die Fernwärme aus nur zwei Blöcken bereitstellen kann. Das löst das Problem nicht komplett, aber macht manches doch ein bißchen freundlicher.

Herr Lehmann, gibt es eigentlich für Greifswald Evakuierungspläne?

Ja, die werden im Moment überarbeitet und dann der Bevölkerung bekanntgegeben. Pläne gab es schon immer, aber bisher wollte man die Leute nicht beunruhigen und nichts darüber sagen. Wir durften das nicht publizieren.

Wie schnell kann die Bevölkerung denn im Notfall evakuiert werden?

Wir haben zunächst das automatische Überwachungssystem mit einem Doppelring von Meßstationen um das Werk herum. Die messen die Gamma-Strahlenbelastung, Jod und andere Isotope. Die Daten gehen automatisch an einen Rechner und werden gekoppelt mit Windrichtung und anderen meteorologischen Bedingungen. Im Fall eines nuklearen Auswurfs können dann die Daten für den betroffenen Sektor - das muß nicht immer gleich das Horrorszenario von Tschernobyl sein - im Prinzip in Echtzeit abgerufen werden. Nach diesem Szenario wird dann die Bevölkerung zu evakuieren sein.

Wie weit ist eigentlich die Gesamtenergiekonzeption für die DDR gediehen, die seit einigen Wochen angekündigt wird?

Sechs Generaldirektoren haben, nachdem die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen waren, das, was sie schon lange wußten, zu Papier gebracht und unserer Regierung übergeben. Das war im Dezember. Inzwischen gibt es einen ausgearbeiteten Entwurf. Die fertige Konzeption wird der Regierung vorgelegt, und abhängig davon, wie sie sich nach der Wahl zusammensetzt, wird dann eine Entscheidung fallen.

Ist in dem neuen Energieprogramm auch der Ausbau des AKWs Stendal weiter geplant, und mit welchen Partnern soll er durchgeführt werden?

In der Planung ist das vorgesehen, ja. Über die Errichterfirmen ist noch nicht entschieden. Alle Meldungen, die durch die Blätter geistern, sind ohne Grundlage.

Sie haben im Dezember gesagt, die Angebote müßten sorgfältig geprüft werden. In welcher Form liegen die denn eigentlich vor?

Technisch liegen sie natürlich präzise vor. Die Konvoi -Anlagen der Bundesrepublik sind uns natürlich gut bekannt, auch die französischen Kernkraftwerke. Das ist eigentlich der Stand. Es gibt keinerlei kommerzielle Verhandlungen, die in diese Richtung weisen. Falls aber unsere nach den Wahlen amtierende Regierung sagt, Kernkraftwerke werden weiter gebaut, sieht das anders aus. Dann gehen wir davon aus, daß es Reaktoren sein müssen, die dem absoluten Höchststand der Technik weltweit entsprechen, und das sind die Blöcke der Bundesrepublik oder der Franzosen. Ich sehe überhaupt keine Alternative für die DDR, es sei denn, wir kaufen Strom aus der Bundesrepublik. Aber das macht dann ja moralisch keinen Unterschied.

Sie scheinen die großen Leitungen von West nach Ost nicht sehr zu mögen.

Das ist falsch interpretiert. Ich gehe davon aus, daß erfreulicherweise die politische Entwicklung dahin geht, daß die beiden deutschen Staaten zusammenwachsen. Also muß man natürlich auch ein elektrisches Übertragungssystem schaffen, welches den Erfordernissen eines gesamten deutschen Industriegebietes entspricht. Ich bin nur dagegen, daß einige Leute bei uns sagen: Wir brauchen gar nichts zu machen, wir können ja aus der Bundesrepublik oder aus Frankreich importieren. Das kann man natürlich theoretisch machen. Aber irgendwie muß das ja auch bezahlt werden. Deshalb muß man ein ausgewogenes System zwischen elektrischen Netzkupplungen und Erzeugeranlagen schaffen.

Da war ja ein Modell bereits im Gespräch, und Sie haben auch mit dem Preussen Elektra-Chef Hermann Krämer zusammengesessen. Von ihm wird ja vorgeschlagen, in Stendal zwei bundesdeutsche 1.300-MW-Reaktoren zu bauen und dies dann über den in die Bundesrepublik rückfließenden Strom zu bezahlen.

Ja, zum Beispiel. Aber das sind wirklich nur Modelle, die im Gespräch sind. Ich persönlich halte sie allerdings nicht für hypothetisch. Man sollte durchaus darüber nachdenken. Interview: Bärbel Petersen/Gerd Rosenkranz, ge

führt in der Schaltwarte von Greifswald, Block

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