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JUCKENDE FARBKRUSTEN

■ Ludwig Meidners „Apokalyptische Landschaften“ in der Berlinischen Galerie

In den Jahren 1912 und 1913 malte Ludwig Meidner seine Apokalyptischen Landschaften: Bomben und Meteore stürzen aus aufgewühlten Himmel auf die Erde nieder, die Landschaft zerbirst, ihre Schollen schieben sich übereinander, Brücken stürzen ein, Häuser kippen und explodieren, die Menschen, an die Ränder des Bildraumes katapultiert, fliehen. Die Rezeption dieser Bilder ist nicht mehr zu trennen von dem Wissen um den nachfolgenden Ersten Weltkrieg, der die Imagination des Malers einholte. Seine Malerei erscheint als ein seismographisches Instrument, das die Unruhe der Geschichte registrierte, bevor sie an der Oberfläche ausbrach. Doch die Bilder allein als warnendes Menetekel zu begreifen, verkürzt ihre Bedeutungsvielfalt.

Stationen aus Meidners Biographie: 1884 in Schlesien geboren, Maurerlehre, Kunststudium in Breslau, Modezeichner in Berlin, Studienaufenthalt in Paris. Als er 1907 nach Berlin zurückkehrte, fehlte ihm jede finanzielle Unterstützung. Er wanderte durch die Vororte der Großstadt und übersetzte die unübersehbare Expansion der tristen Häusermeere in dynamische Formen. Zwischen 1911 und 1916 entstanden jene Zeichnungen und Gemälde, die, inhaltlich und formal eng verbunden mit dem Werkkomplex der „Apokalyptischen Landschaften“, jetzt in einer Ausstellung des Los Angeles County Museum of Art in der Berlinischen Galerie gezeigt werden. In den zwanziger Jahren begann Meidner, sich mit biblischen Motiven zu beschäftigen; er gewann wieder Vertrauen in seinen jüdischen Glauben, seine Unruhe legte sich. Die Nationalsozialisten diffamierten ihn als entarteten Künstler und beschlagnahmten seine Arbeiten. Noch bis 1939 lehrte Meidner an einer jüdischen Schule in Köln Zeichnen, bevor er nach England emigrierte. 1953 nach Deutschland zurückgekehrt, erfuhr er erst wenige Jahre vor seinem Tod 1966 wieder öffentliche Anerkennung, als man seine Apokalypsen wiederentdeckte. Noch immer gelten einige Bilder Meidners als verschollen; andere befinden sich in einem schlechten Zustand und sind nicht verleihbar.

In Meidners Biographie wiederholt sich der bittere Normalfall vieler Künstlerbiographien: seine elendeste Zeit war zugleich seine produktivste Phase: Werke aus jener Zeit sind am beeindruckendsten. Deshalb kehrt auch der Dichter Ludwig Meidner - er war nicht nur Maler - in seinen biographischen Texten immer wieder zu seiner heroischen Zeit zurück, zehrt als Autor von den Exzessen des Malers in seinem „apokalyptischen Jahr“, dem „heißen Sommers 1912“. Er steigert sich wieder hinein in die Beschreibungen des harten physischen und psychischen Kampfes, aus dem seine Bilder hervorgingen. Die Armut und der Dreck in seinen kleinen finsteren Ateliers, in denen sich Aschenberge türmten und alte Knochen herumlagen, wurde nicht zuletzt von ihm selbst kolportiert. Aus Segeltuch präparierte er selbst seine Leinwände, die er oft von beiden Seiten bemalte. Er lebte von selbstgekochten Erbsen und Linsen, litt an der Krätze, vermutlich Farballergien, an der Hitze im Dachgeschoß. Sein elender Körper spiegelte seine materielle Not, seine nicht lösbaren sozialen Probleme, seine Lebensangst.

Doch vom verführerischen Mythos des Künstlers als Märtyrer nahm Meidner ironisch Abstand: er gestand selber seine Gier nach dem unfertigen Bild und seine satanische Freude über die vollendete Apokalypse ein. Selbst legte er in seinen Schilderungen die Identifikation seines leidenden, juckenden, geblähten Leibes mit der von ihm attackierten Leinwand nahe. Der Kampf mit der Leinwand wird zur körperlichen Befriedigung. Er schlug mit dem breiten Pinsel zu, er ließ die Farbe klumpen und zerwühlte sie. Sein armer und geplagter Körper hielt sich ersatzweise schadlos am Reichtum der Farben. Er erlebte Malen als einen sinnlichen Rausch, in den er sich stürzte - aller Not zum Trotz. Er hielt seinen Verstand auf Distanz, versetzte sich in eine halbblöde Naivität, um die Intuition zu forcieren. Indem Meidner die Erfahrung der imaginierten Austauschbarkeit der Leinwand und des eigenen Leibes formulierte, nahm er die Suche späterer Künstler nach einer authentischen Körpersprache, die sich ohne die Vermittlung über Motive unmittelbar in der Farbe ausdrückt, vorweg.

Mit dem Motiv des alkoholisierten Rausches projizierte er in der Tuschzeichnung Betrunkene Straße mit Selbstbildnis seine subjektive Wahrnehmung auf den äußeren Zustand der Welt. Hinter dem links aus der Zeichnung schwankenden Maler, dessen Körper in spitze Winkel zerbricht und in alle Himmelsrichtungen strebt, klappen die Häuserfronten auseinander. Die parallelen Reihen der Bäume und Laternenpfähle steigern sich zum Stakkato im Rücken des Betrunkenen, ihn vorantreibend.

In Ich und die Stadt (1913) schiebt er sich mit Kopf und Schultern in die untere Bildhälfte. Noch keine dreißig Jahre, malte er sich alt und verbraucht. Sein Blick aus großen schwarzen Pupillen ist unsicher, erschreckt, kann nichts fest fassen. Seine Finger greifen zum Kinn in einer Geste der Ratlosigkeit. Ein gemaltes „Ich“ voller Verwirrung und Angst. Unter ihm liegt die Stadt, ihre Häuser werden von einem schwarzen Loch in der Mitte auseinandergedrückt, das seinen Kopf einrahmt. Meidner scheint über der Stadt zu schweben, vielleicht von der Druckwelle einer Explosion hochgeschleudert. Die Stadt ist auch Ursache seiner Unruhe.

Meidner fügte sein Selbstporträt oft in Stadtansichten und apokalyptische Landschaften ein. Dabei dachte er sich verschiedene Rollen zu und bestimmte seine Beziehung zu dem Ungeheuer Stadt doppeldeutig: meist sah er sich als Opfer, verwirrt wie in Ich und die Stadt oder entsetzt aus dem Bildraum fliehend. In der Zeichnung Apokalyptische Szene aber liegt er rücklings in einer Wiese und betrachtet am Horizont sowohl den Sonnenuntergang als auch den Sturz eines Kometen auf eine kleine Stadt. Die Katastrophe als Theaterstück? In anderen, allerdings seltenen Bildformulierungen, liegt an dem Ort seiner beobachtenden Gestalt ein nackter Schlafender, der gar nicht zu der eben untergehenden Kultur zu gehören scheint.

Der Maler lebte in den Apokalypsen auch seine Machtträume aus. Seine Visionen sind auch die Drohungen eines Außenseiters, der die bürgerliche Ruhe mit einer Bombe hochjagen will. Einmal benennt er den genauen Ort der Vernichtung: Apokalyptische Landschaft (Beim Bahnhof Halensee). An der Stadt wird mit der Unerbittlichkeit und Unausweichlichkeit einer Naturkatastrophe eine Strafe vollzogen. Der Maler statuiert ein malgewaltiges Exempel. In der Sprengung der ihn umgebenden Welt inszeniert er auch seine Selbstbefreiung.

In den Zeichnungen Wannsee-Bahnhof, Wogende Menge oder Nächtliche Straße, die den explosiven Taumel in alltäglichen Momenten vorwegnehmen, wachsen die Mauern der Stadt noch vom unteren bis an den oberen Bildrand. Das Ungeheuer Stadt plustert sich auf, macht den Passanten klein, zwingt ihm seinen Weg auf. Menschen, Architektur und Verkehr verschmelzen zu einem mächtigen Organismus, der keine Einsicht mehr in die unterschiedlichen Interessen und Machtverhältnisse zuläßt. In den Apokalyptischen Landschaften dagegen verliert sich die Stadt wie hingewürfelte Bauklötzchen. Viadukte und Brücken zerbrechen, Giebelhäuser kippen und stürzen in Abgründe, Baugerüste knicken wie Streichhölzer zusammen. Aufgebäumte Erde und bleischwere Himmel zerquetschen zwischen sich die Städte zu schmalen Streifen. Die revoltierende Landschaft stößt das Werk des Menschen ab wie einen Fremdkörper. So wird der Moloch Stadt schon durch die Bildkomposition relativiert und reduziert. Die gefräßige Stadt wird nun selbst von der Landschaft verschlungen.

Die Menschen gehen dabei unter: wenn sich Meidner auch nach einer Katharsis und Läuterung der Kultur gesehnt haben mag, geglaubt daran - wie die vom Wahn der großen Reinigung der Zivilisation befallenen Futuristen - hat er nicht. In einer fast abstrakten Landschaft von 1915 erkennt man unter dem von Feuergarben rotglühenden Himmel erst allmählich, daß die vermeintlichen braunen Wackersteine Schädel sind und das sparsam aus der schwarzen Erde sprossende Grün den Streifen auf den vermoderten Uniformen entstammt. Schon in Die Abgebrannten (1912) läßt die blaugraue Farbe nur Asche übrig, auch wenn die Menschen vor der verkohlten Ruine ihres Hauses noch wie in einem Nest zusammenhocken.

Meidners Apokalypse war nicht der Krieg; Kriegsmaschinerie und militärische Macht treten nur als eine untergeordnete Erscheinungsform der Katastrophe auf. Nicht aus der rationalen Kritik, sondern aus dem emotionalen Unbehagen gehen seine Visionen hervor.

Beckmann malte den Untergang der Titanic und das Erdbeben von Messina; Kandinsky zeichnete Apokalyptische Reiter. Stefan Zweig wurde zum Chronist der in Dichter- und Denkerkreisen grassierenden Weltuntergangsstimmung. Meidner war besonders eng mit dem expressionistischen Dichter Jakob van Hoddis befreundet, der ihn auch auf seinen langen Stadtwanderungen begleitete. In einem grotesken Gedicht deutet van Hoddis mit ironischem Unterton die Popularität der Apokalypsen an:

„Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut

In allen Lüften hallt es wie Geschrei.

Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei

Und an den Küsten - liest man steigt die Flut

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfe

An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken

Die meisten Menschen haben einen Schnupfen

Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Die kleine Einfügung des „- liest man -“ läßt diesen Weltuntergang aus der Abendzeitung aufsteigen. Der unter die tödlichen Bedrohungen des Eisenbahnunglücks und der Überschwemmung eingeordnete Schnupfen verweist auf eine Mentalität, die von jeder Unpäßlichkeit auf das Ende der Welt schließt. Die Apokalypse erhält hier die Dimension einer schrecklichen Schaubude auf dem Jahrmarkt. Der sichere Weltuntergang wird zur Entschuldigung für den passiven und resignativen Bürger. Seine Halluzination verstellt den Blick auf die Realität. Etwas von diesem Jahrmarktsgruseln, vom Zischen und Knallen eines Feuerwerks, ist auch in Meidners Bilder eingegangen.

Katrin Bettina Müller

Ludwig Meidner. Apokalyptische Landschaften. Berlinische Galerie bis zum 8. April 1990. Katalog kostet 38 Mark.

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