THEATRALISCHER AUFBRUCH

■ Wie und zu welchem Ende wollen wir die Freie Volksbühne? - Ein Dreizehnpunkteplan

Folgende ebenso hochpraktische wie tieftheoretische Vorschläge zur dauerhaften Behebung der perso -konzeptionellen Dauerkrise am Theater der Freien Volksbühne (West) wollen wir heute diskret und kostenlos den jetzt allüberall in der Stadt eilig Hin- und Herdenkenden quasi als akute Bruthilfe zum Ausschneiden für die persönliche Aktentasche zuspielen. In der Hoffnung, daß der eine undder andere unserer dreizehn Klasseconsults in die von der Kulturverwaltung für die allernächsten Tage zur Vorlage versprochene Konzeption zur Zukunft des Theaters der Freien Volksbühne in Ehren eingehen möge! 1. Der „Morgenthau-Plan“: Die Volksbühnen Ost und West werden sofort wiedervereinigt, und der Spielbetrieb und die technischen Einrichtungen werden - im Zuge der tätigen Aufbauhilfe - ins Gebäude am Rosa-Luxemburg-Platz (demnächst: Dr.-Hanns-Martin-Schleyer-Platz) umgesiedelt. Das Gebäude in der Schaperstraße wird demontiert. Auf dem Gelände entsteht ein Franz-Xaver-Kroetz-Gedächtnis -Stallerhof. 2. Der „Hillmar-Hoffmann-von-Fallersleben-Plan“: Die West -Volksbühne bespielt - nicht zuletzt im U-Bahn-Zuge des interstädtischen Publikumsaustausches - dezentral den Osten und zwar mit Erbauungs-Klassikern in volksnahen Inszenierungen nach Dr. Hermann Gmeiner. Einrittsberechtigt sind nur DDR-MitbürgerInnen. Die Preise werden in Ostmark erhoben, und zwar zum Kurs eins-zu-sechs (sechs Westmark für eine Ostmark). 3. Der „Kaiser-Augustus-Everding-Plan“: Das Bayreuther Festspielhaus erhält die Volksbühne als Außenstelle für die regelmäßig anfallenden Überhangstunden bei modernen Wagner -Inszenierungen. Everding wird Festspiel-Minister ohne Portemonnaie für Preußen, Bayern und das Salzburger Land. 4. Der „Hans-Otto-Pöhl-Plan“: Sofortige Einführung der Konvertierbarkeit von Intendanten- und SenatorInnenposten. Danach wird Anke Martiny Intendant, und Hans Neuenfels wird Senatorin. 5. Der „Kneipp-Kaynes-Plan“: Die Volksbühne wird Zielbahnhof für Kaffeefahrten aus der Ostmark. In Absprache mit dem Betriebsrat wird das künstlerische Personal - im Zuge einer umfassenden Arbeitsplatzerhaltungsstrategie - für die Gestaltung des Kulturprogramms übernommen, während der Verwaltungsdirektor zum Rheumadecken-Verkauf herangezogen wird. Schirmherrin des Projekts wird Anne Momper. 6. Der „Marshall-Plan“: Da der rasenden Umwandlung von immer mehr Industrieanlagen in Kulturzentren endlich ein deutliches Zeichen entgegengesetzt werden muß, wird die Volksbühne mitsamt ihren Funktionären in die Produktion reintegriert. In dem zukünftigen Volvo-Werk wird Hans Neuenfels Lohndrücker. 7. Der „Pegasus-Kässbohrer-Plan“: Die Volksbühne wird Brandenburgisches Landestheater unter Mehrheitsbeteiligung der BVG. An vier von fünf Spieltagen wird - unter Zuhilfenahme der in der Stadt bereits abgespielten Inszenierungen - nach Neustrelitz, Stienitz-Aue, Caput, Schildow etc. abgestochen. 8. Der „Pierre-Brice-Plan“: Unter der Generalintendanz von Dr. Ulrich Eckhardt wird die Volksbühne den Festspielen (Fachgruppe „Wildwest“) angeschlossen und wird dabei hauptsächlich mit Gastspielen aus Bad Segeberg bespielt. 9. Der „Erich-Honecker-Plan“: Die Volksbühne wird Veteranentheater für pensionierte Ost-Dramaturgen. Gespielt wird das Stück: „Die Verfolgung und Ermordung des Nicolai Ceausescu, dargestellt durch die Insassen des Hospizes zu Lobethal unter Anleitung des Herrn Axen“ mit HO-, FDJ-, V -Effekt und allem Drum und Dran. Chefverweser der Post -Piscator-Bühne wird Dr. Uwe Lehmann-Brauns.

10. Der „Dietrich-Garski-Speiseplan“: Die Volksbühne wird Autobahnraststätte „Chez Hansi“. Die bisherigen Garderobe und Klofrauen werden übernommen.

11. Der „Karl-Georg-Schreber-Jürgen-Hurth-Plan“: Die Interessengemeinschaft der bedrohten Kleingärten in Charlottenburg übernimmt die Volksbühne. Gespielt wird „Der Kirschgarten„ (bereits abgehackt).

12. Der „Nelson-Mandela-Günter-Coenen-Plan“: Während die jetzige Volksbühnenführung für 25 Jahre ins Gefängnis geht, wird das schwarzhumoristische Anti-Apartheid -Durchhaltekabarett „Wir müssen leider draußen bleiben“ gespielt.

13. Der „Virchow-Baudrillard-Belegungsplan“: Nach Entstuhlung sowohl des Spielplans als auch des Voyeurraums dient die Volksbühneneinrichtung der stationären Versorgung bettlägeriger Simulanten.

... wird bei Bedarf fortgesetzt.

Riedle/Dormagen/Hackenberg