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Der Verrat der Intellektuellen

Die Einheit der beiden deutschen Staaten ist keine Chance sondern eine Zerreißprobe für die Demokratie. Eine Antwort auf Monika Maron (taz vom 6.2.90)  ■ D E B A T T E

Der Gang der Dinge hat Otto Reinhold (Ex-Chefideologe der Ex - SED) mehr recht gegeben, als er selbst wohl annahm: Ohne SED - und ohne Breschnew-Doktrin - ist die DDR tatsächlich ein gesellschaftliches und ein politisches Vakuum. Realpolitisch kann an diesen Tatsachen niemand vorbei. Müßig von daher im nachhinein auf den verschwommenen Sozialismuskonzepten von S.Heym oder Christa Wolf herumzuschlagen. Müßig auch fast schon die Auseinandersetzung mit Positionen wie der von Jutta Ditfurth (die BRD ist mindestens genauso schlimm wie die DDR), wären da nicht die sattsam bekannten Strömungsgprobleme der Grünen.

Weniger müßig allerdings ist die Auseinandersetzung mit einer Denkfigur, wie sie etwa in der Predigt von Monika Maron (taz, 6.2.90) zum Ausdruck kommt, nämlich die von der siegreichen demokratischen Revolution in der DDR. Da sind doch Nachfragen angebracht. Was ist siegreich an einer Revolution, die zwar ein Gesellschaftssystem zum Einsturz bringt, dessen Bankrott feststellt, dann aber die Ausgestaltung der Freiheit in die Verantwortung anderer delegiert? Und was ist demokratisch daran, sich aus einer Schuldengemeinschaft fortzustehlen? Das letzteres menschlich, allzu menschlich ist, das sei unbestritten. Aber welche Mechanismen werden durch diesen Vorgang in bezug auf die BRD in Gang gesetzt?

Man muß wohl festhalten: Die faktisch längst vollzogene Einheit der beiden deutschen Staaten ist nicht so sehr eine Annexion der DDR durch die BRD als vielmehr eine Art Eroberung der BRD durch eine sich nach Westen bewegende Massenwanderung. Die menschlichen Motive sind nur zu verständlich und nachvollziehbar, betroffen macht aber der politische Rahmen, in den diese Einheit eingebettet wird.

Die Attraktivität des Modells BRD besteht nicht nur in der wirtschaftlichen Kraft, sondern auch in der entwickelten und vielgliedrigen Gesellschaftlichkeit. Aber gerade die wird, teilweise bewußt - in den deutschnationalen und völkischen Reden hüben und drüben -, teilweise unbewußt - in den Trauerreden über die Probleme von gestern -, aufs Spiel gesetzt. Hinzu kommt, daß der Gesinnungssozialismus bundesrepublikanischer Prägung lange Zeit die kritische Auseinandersetzung der politischen Linken mit dem Totalitarismus jedweder Couleur blockierte. Man muß nur an die Verrisse erinnern, die sich B.Henri-Levi und A.Glucksmann seinerzeit in den linksliberalen Feuilletons einhandelten. Und bis heute gelingt es dank dieser Blockade bei den Grünen nicht, zu einem positiven Selbstverständnis im Verhältnis zur Demokratie der BRD zu gelangen. So ist der linke, demokratische und kosmopolitische Diskurs hierzulande nahezu sprachlos.

Auch wenn man die rassistischen und antisemitischen Töne, die aus der DDR herüberschallen und die sich aufs schönste mit der Ausländerfeindlichkeit hier aufschaukeln, nur unter Vorbehalt ernst nimmt, es steht zu befürchten, daß die Einheit der beiden deutschen Staaten keine Chance für die Demokratie bringen wird, sondern eine Zerreißprobe. Ich sehe darin rundum Gefahren, und zwar zu allererst die Gefahr einer Zunahme völkischen Denkens.

Wenn Monika Maron in besagter Predigt kritisiert, daß man die DDRler zu Versuchskaninchen für im Westen gescheiterte Träume machen wolle, dann mag das für einige ihrer Landsleute und auch für einige Intellektuelle in der BRD zutreffen. Wobei, es sei nur vermerkt, jeder Umbau der DDR-Gesellschaft ein Experiment ist, denn praktische Erfahrungen über den Rückbau von Zentralverwal tungssystemen liegen historisch nicht vor. Aber nun daraus den unterschwelligen Schluß zu ziehen (K.Hartung tut es ganz explizit, wenn er die Leipziger Demonstra- tionen als Hilferuf interpretiert), es gäbe gewissermaßen ein natürliches Recht, in den Westen zu kommen und sich wiederzuvereinigen, das setzt eine Logik in Gang, die man sich vielleicht doch in ihren Details vergegenwärtigen sollte. Welchen natürlichen Grund für dieses Recht gibt es, den DDRlern zu gewähren, was man erst kürzlich den Türken verweigerte, wenn nicht den des Blutes, des Deutschseins. Auch bei den Grünen feiert ja inzwischen das Bekenntnis: Aber ich bin doch deutsch! fröhliche Urständ. Das ist der eigentlich bedrohliche Aspekt der ganzen Entwicklung: die zivile und demokratische Gesellschaftsverfassung der BRD, die gerade erst begonnene Debatte, das Staatsbürgerrecht nicht-völkisch zu fassen (Wahlrecht für Ausländer), all das ist aus den öffentlichen Debatten und Bedenklichkeiten verschwunden. Diesen Zusammenhang zu unterschlagen, ihn nicht zu nennen, sich einfach, und sei es auch realpolitisch bemäntelt, dem Faktum des Blutes zu überlassen und die universalen Werte außer Betracht zu lassen, anstatt gegen den nationalen Taumel dem demokratischen und kosmopolitischen Diskurs eine Stimme zu geben, das ist der eigentliche Verrat der Intellektuellen.

Dabei geht es nicht um Besitzstandswahrung: Rein ökonomisch könnte der DDR genauso gut, wenn nicht besser, geholfen werden, wenn sie ein selbständiges Mitglied der EG würde. Und es würde in gewisser Weise sogar der unantastbaren Wahrheit Rechnung tragen, daß es wohl eine deutsche Frage gibt, diese aber nicht den Deutschen allein gehört. Jedoch scheint das nicht mehr angesagt. Die Deutschen Ost und die Deutschen West haben offensichtlich erkannt, daß sie gemeinsam sehr wohl den Anspruch auf die Beletage im famosen europäischen Haus beanspruchen könnten. Ein 'Spiegel' -Herausgeber, der sich beim Schreiben die Pickelhaube aufsetzt und die rabiat nationalistischen Reden eines Willy Brandt deuten nur allzu unverhohlen in diese Richtung. Die Leichtfertigkeit, mit der zum Zwecke besserer Wahlerfolge, die nationale Karte gespielt und dabei jede Rücksicht auf nachbarschaftliche Befindlichkeiten in Europa vom Tisch gewischt wird, läßt für die zukünftige Neuordnung Europas nichts Gutes ahnen. Wenigstens den Versuch, das aus demokratischen Gründen zu denunzieren, sollte die aufgeklärte Intelligenzija der BRD unternehmen. Ob sie das aus eigener Kraft schaffen kann, mag man mit guten Gründen bezweifeln. In dieser Situation können die „Grünen“ es nicht dabei belassen, Rot-Grün auch für die DDR zu propagieren. Auch wenn die Zeit drängt, die Grünen brauchen ihr Bad Godesberg, um zu einem positiven Bekenntnis zu den universalen Werten der Demokratie und der Einbettung einer deutschen Bundesrepublik in einen gesamteuropäischen Prozeß zu finden. Sollte es nämlich nicht gelingen gegenüber der konservativ bis nationalistischen Wanderdüne aus dem anderen Teil Deutschlands der civil society, von der wir alle unterschwellig immer ausgingen, eine Stimme zu geben, dann könnte es sehr wohl sein, daß der gepackte Koffer recht bald wieder zum Utensil des Demokraten wird.

Ulrich Hausmann

Der Autor zählt sich zu den Ökolibertären bei den Grünen.

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