SPD: Körting rechnet Vereinigungskosten vor

■ Der SPD-Abgeordnete Erhard Körting rechnet mit einer „dramatischen Übergangsphase“ bis zu deutschen Einheit / Indirekte Kritik am Momper-Plan / Inflationsteigerung und hohe Arbeitslosenrate vorhergesagt / „West-Berlin wird den Gürtel enger schnallen müssen“

Eine „dramatische Übergangsphase“ bis zur deutschen Einheit mit hoher Inflationsrate und steigender Arbeitslosigkeit hat der Berliner SPD-Abgeordnete Erhard Körting gestern seinen GenossInnen prophezeit. In einem jetzt veröffentlichten Diskussionspapier übt der Rechtsanwalt indirekt auch Kritik am SPD-Chef Walter Momper, der vor einer Woche überraschend mit einem „Einheitsfahrplan“ an die Öffentlichkeit getreten war. Neue deutsch-deutsche Denkmodelle seien „wertlos, wenn nicht ernsthaft und öffentlich auch die Frage der Finanzierung diskutiert wird“, heißt es in Körtings Diskussionsvorlage.

In der SPD-Fraktion war Mompers Vorschlag, das Gebiet der jetzigen DDR nach dem Vorbild West-Berlins unter alliierte Kontrolle zu stellen, eher zurückhaltend aufgenommen worden. Dem Vernehmen nach hat der SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt Mompers Ideen, die offensichtlich aus der Feder des Chefs der Senatskanzlei Dieter Schröder stammen, als „Schnellschuß“ kritisiert. Spitzenpolitiker der Ost-Berliner SPD hatten Mompers Neun-Stufen Plan als „unausgegoren“ bezeichnet.

In seinem Diskussionspapier bezeichnet Körting die Diskussionen über eine mögliche Vertragsgemeinschaft oder Konföderation als „Makulatur“. Die DDR werde das Wirtschafts -, Rechts- und Sozialsystem der Bundesrepublik übernehmen. Körting schätzt, daß während dieser Phase 25 Prozent der DDR -Betriebe ersatzlos stillgelegt werden. Weitere 25 Prozent hätten nur unter „gewaltigen Anstrengungen“ eine Überlebenschance. Auf den bereits bestehenden Sockel von rund zwei Millionen Arbeitslosen werde dann noch draufgesattelt. Mittelfristig werde die Vereinigung von BRD und DDR aber sogar helfen, Arbeitslosenzahlen abzubauen. Die zu erwartende ansteigenden Arbeitslosenzahlen müßten kurzfristig durch staatliche Aufbauprogramme abgefangen werden. Durch Steuererhöhungen sei das nicht zu finanzieren, nur durch eine Verschuldung des Staatshaushaltes. „Das kann Inflation bedeuten, aber ich sehe keine Alternative“. Hinzu kämen bei einer Währungseinheit Zahlungsunfähigkeiten vieler Betriebe und ein immenser Subventionsbedarf der neuen staatlichen Verwaltungen in der DDR. Körting: „Vereinigung heißt auch Schuldenübernahme.“

Die Auflösung der jetzigen 15 DDR-Bezirke und die Wiedereinführung alter Länderstrukturen könne zwar helfen, die Zahl der Verwaltungseinrichtungen zu vermindern und damit Kosten zu sparen. Trotzdem hieße das, mit einer Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zu rechnen, um die immensen Ausgaben, die demnächst in der DDR anstünden, finanzieren zu können. „Das defizitäre Berlin (West) wird nicht nur durch Berlin (Ost) zusätzliche Ausgaben übernehmen müssen, auch die bisherige Bundeshilfe wird relativ sinken.“ Für eine Übergangszeit werde also auch West-Berlin „den Gürtel enger schnallen oder die staatliche Verschuldung enorm erhöhen“ müssen.

Mittelfristig werde bei einem einheitlichen Staat ein Lohn -/Gehaltsgefälle - wie zur Zeit vorhanden - nicht durchzuhalten sein. Das gelte doppelt, „wenn ich Arbeitnehmer im Gebiet der jetzigen DDR halten will.“ Um den Abwanderungstrom nach Westen zu stoppen, schlägt Körting eine Zusatzvergütung vor, „wie heute die achtprozentige Berlinzulage“. Auch ein verkürzter ziviler Aufbaudienst anstelle des Wehrdienstes sei denkbar.

ccm