: Sensible F Führungskräfte
■ Die Chefs und Chefinnen der 90er Jahre müssen umdenken. Gefragt sind nicht mehr autoritäre Macher, sondern flexible „Leistungsträger“ mit partnerschaftlichem und ganzheitlichem Denken.
von DITA VOGEL
or allem sensibel soll sie sein, die Führungskraft der neunziger Jahre. Sie soll vertrauensvoll und partnerschaftlich mit ihren MitarbeiterInnen umgehen, flexibel auf Umwelteinflüsse reagieren und ganzheitlich denken. Ihr Antrieb ist Lust auf Leistung, und die soll sie auch durch vorbildliches Verhalten auf die MitarbeiterInnen übertragen, denn auch die müssen im „Informationszeitalter“ voll flexibel sein.
Und wie wird eine durchschnittliche KarrierekandidatIn zu einer so wunderbar umsichtigen Führungskraft? Sie arbeitet nicht nur an sich selbst, sie wird auch von Fachleuten dazu gemacht. Das ist das Geschäft der PersonalentwicklerInnen, die sich kürzlich zum wiederholten Mal in Bad Honnef getroffen haben, um Visionen und Methoden auszutauschen. Sie kommen aus den Personal- und Weiterbildungsabteilungen großer und mittelständischer Unternehmen: Mercedes Benz, IBM, Schering, Siemens, Bertelsmann, Veba, West LB und andere große Unternehmen waren vertreten, aber auch kleinere wie Wilkhahn aus Bad Münder (Büromöbel) oder Webasto aus Gauting (Fahrzeugtechnik). Das Motto des Kongresses: „Macht oder Ohnmacht der Personalentwicklung“. Im Idealfall geht es darum, das gesamte Personal zu fördern. Praktisch scheint das Interesse oft nicht über den Führungsnachwuchs hinauszureichen.
Unbeachtet blieb auf diesem Kongreß auch die Frauenfrage: Lassen sich Frauen vielleicht leichter zu sozialverträglichen Chefinnen ausbilden? Wie können sie speziell gefördert werden? „Um das Thema Frauen kommen wir in Zukunft nicht herum“, hinterließen TagungsteilnehmerInnen den Veranstaltern als Feedback.
Gewöhnliche MitarbeiterInnen werden geschult, Führungskräfte hingegen werden individuell entwickelt. Dazu müssen die EntwicklerInnen zunächst einmal abschätzen, wer das „Potential“ hat, zu einem führenden „Leistungsträger“ des Unternehmens zu werden. Sie beobachten die KandidatInnen bei gruppendynamischen Übungen, Rollen- und Planspielen in Seminaren und „Assessment-Center“. (Im Sport wären das Vorrunden oder Auswahlspiele - die Punkte zählen nicht beim eigentlichen Turnier, sind aber notwendig, um überhaupt mitspielen zu können.) Außerdem führen sie Gespräche mit den potentiellen FörderkandidatInnen und schauen sich die Beurteilungen der direkten Vorgesetzten an. Die haben in aller Regel das letzte Wort bei der Entscheidung, wer etwas werden darf.
ie alten Vorgesetzten und ihr Hierarchiedenken - sie sind das größte Hindernis bei der Entwicklung der „neuen“ Vorgesetzten. Für die alten Hasen sind PersonalentwicklerInnen in vielen Unternehmen „bestenfalls Hofnarren“, glaubt Professor Ekkehard Kappler von der Privatuniversität Witten / Herdecke, wobei er Hofnarren mit Rückendeckung von ganz oben durchaus gewissen Einfluß zuspricht. Und diese Rückendeckung gibt es: Immer mehr Vorstände lassen „soziale Kompetenz“ fördern.
IBM schult sie zum Beispiel durch Grundkurse in „Teamarbeit“ und „Kommunikation“ - ein Muß für das Weiterkommen. In weiterführende Kurse zur „Konfliktaustragung“ kommt nur, wer die Grundkurse schon hinter sich hat.
Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Unternehmens, Vertretungen und Projektarbeit sind weitere Mittel, die begehrten Führungsfähigkeiten zu entwickeln - und unter Beweis zu stellen. Denn selbstverständlich prüfen die PersonalentwicklerInnen auch, ob sich weitere Investitionen in die KandidatInnen lohnen. Dabei sortieren sie die sozial weniger kompetenten KandidatInnen aus: Dann werden aus hoffnungsfrohen KarrierekandidatInnen wieder gewöhnnliche MitarbeiterInnen. „Machen wir uns nichts vor“, sagt Albrecht Lange von der Beiersdorf AG. „Verlierer wird es immer geben.“ Doch auch um deren Motivation bemühen sich PersonalentwicklerInnen, denn sie sollen sich ja auch weiterentwickeln, nur eben nicht nach oben.
apitalistische Perestroika“ nennt der Managementberater Gerhard Weigle die Tendenz, daß viele Unternehmen ihre MitarbeiterInnen stärker in Wandlungsprozesse einbeziehen. Denn Veränderungen müssen immer wieder neu in Gang gebracht werden. Weigle: „Es geht um einen Bewußtseinswandel vom linearen zum zyklischen Denken.“ Das klingt eher nach Frauenbewegung und Alternativbetrieben als nach Managementberatung. Ein Element der Alternativkultur ist auch für Großbetriebe verlockend: daß Menschen eigenständig motiviert (bis zur Selbstausbeutung) für eine gemeinsame Sachen arbeiten.
Daß zu „sozialer Kompetenz“ auch Sensibilität und Teamfähigkeit gehören, ist zwar modern, hat sich aber längst nicht überall durchgesetzt. Ein Stirnrunzeln erntete der urtümliche Kapitalismus, der bei Joachim Bieker, Leiter der „Managemententwicklung“ bei Bertelsmann, durchschimmerte. Bieker berichtete, daß er für den Medienkonzern Talente aus der „immer knapper werdenden Ressource Mensch“ heraussucht. Die „preschen dann nach vorn“ und werden innerhalb weniger Jahre Geschäftsführer - oder gar nichts. „Partnerschaftlichen Führungsstil“ gibt es auch, aber der muß nicht erlernt werden, sondern liegt dem sorgfältig ausgewählten Führungsnachwuchs wie dem Unternehmen im Blut.
Als Vorzeigebetriebe in Sachen Personalentwicklung präsentierten sich dagegen Wilkhahn und Webasto. Diese mittelgroßen Unternehmen ändern häufig ihre Fertigungsprogramme, so daß auch die ArbeiterInnen in der Produktion oft umlernen müssen.
ei der Büromöbelfabrik Wilkhahn halten die 480 ArbeitnehmerInnen 27 Prozent des Kapitals als stille Gesellschafter. Der Betriebsrat wacht darüber, daß Weiterbildung allen offen steht. „Es ist aber ein Irrtum zu glauben, daß alle in Bildungsmaßnahmen rein wollen“, schränkt Wilkhahn-Betriebsrat Horst Knigge ein, der ein Bildungskonzept mit starker Arbeitnehmerbeteiligung vorstellte. Während der Betriebsrat bei der Führungsausbildung keine Mitspracherechte hat, sind seine Rechte bei der Förderung von tariflichen MitarbeiterInnen verbrieft. Nach Knigges Ansicht schöpfen viele Betriebsräte ihre Einflußmöglichkeiten jedoch dort nicht aus.
Auch Webasto, Zulieferer der Automobilindustrie, stellt die MitarbeiterInnen ins Zentrum der Firmenphilosophie. Wer einmal in der Firma drin ist, kann einiges mitbestimmen, solange er oder sie die vereinbarten Arbeitsziele erreicht. Dazu gehören auch eigene Entscheidungen über das Wann und Wie der Arbeit. Unsicherheit wird nach außen verlagert. „Externe Dienstleistungen“ werden zur „Deckung von Spitzenbedarf sowie als Puffer für Einbrüche in der Auftragslage“ genutzt. Mit anderen Worten: „Die (teuer geförderten) Arbeitsplätze im Betrieb werden sicherer, während die Unsicherheit bei denen liegt, die ihre Arbeit als Externe an das Unternehmen verkaufen. Für solche Unternehmen mag der Führungsleitsatz von Managementberater Weigle anwendbar sein: „Segeln statt Bahnfahren.“
Will heißen: Die Führungskräfte beobachten genau die ständig wechselnden Umweltbedingungen und ändern durch kleine Eingriffe die Fahrtrichtung, anstatt auf eingefahrenen Gleisen das Tempo zu bestimmen. Die Führung segelt, die Mannschaft segelt zwangsläufig mit, wobei der Matrosenjob nicht unbedingt bequemer sein dürfte als der Dienst bei der Bahn. Fragt sich, ob Großunternehmen nicht doch eher Bahngesellschaften als Segelschiffen ähneln trotz teilweise heftiger Reformbemühungen. Die Spitze entscheidet, wo die Schienen verlegt werden, das mittlere Management fährt den Zug, und die Belegschaft macht Dienst nach Vorschrift. Dabei darf sie ganz selbstbestimmt vom Job des Lokomotivführers oder vom Segeln träumen.
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