: Die kollegiale A Anmache
■ Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gehört für viele Frauen noch immer zum beruflichen Alltag. Nur die wenigsten wehren sich und gehen an die Öffentlichkeit. Kündigung scheint ihnen oft der einzige Ausweg zu sein.
Von
GITTA DÜPERTHAL
ragt man Frauen, ob sie an ihrem Arbeitsplatz sexuelle Belästigung durch Vorgesetzte oder Kollegen erfahren haben, kommt meist erstmal gar nichts. Das heißt allerdings keineswegs, daß die Welt in Ordnung ist: Es ist nur der kleine Schockmoment, der auch in der akuten Situation auftritt, wenn die Kollegin nicht in der Lage ist, sich der sexistischen Unverschämtheiten zu erwehren. Nach einer kleinen Pause allerdings fällt nahezu jeder berufstätigen Frau ein Beispiel zum Thema ein. Das hört sich in abgeklärter Form dann so an: „Sexuelle Belästigung - nein, ich habe das nie erlebt - obwohl, wenn der Chef mit offener Hose rumläuft und sein Schamhaar zeigt, ist das dann Sexismus?“ Die Geschichte solle aber bitte anonym bleiben, schließlich arbeite die Frau noch dort. Aber die Sache auf einer früheren Arbeitsstelle, die könne man wohl ruhig unter ihrem Namen berichten. Damals hatte sie bei Honeywell gearbeitet. Sie bekam dort eines Tages einen denkwürdigen Anruf aus der Technikabteilung: „Wir sehen Sie immer vorbeilaufen und wir haben gewettet: Welche Maße haben Sie denn?“
Diese verbale Form des Sexismus ist fast schon alltäglich. Aber auch die „visuelle“ Abart ist recht häufig: Der Kollegin wird beispielsweise ein Plakat, auf dem eine nackte Frau abgebildet ist, vor die Nase gehängt - zusätzlich noch mit einem Aufkleber geschmückt: „Wir bilden Mädchen aus“. Aber nicht selten artet die sexuelle Belästigung von Frauen in Betrieben in „Busengrapscherei“ oder sogar in eine Vergewaltigung aus.
Eine 1984 veröffentlichte Infas-Studie von der Sozialforscherin Sibylle Plogstedt zeigt auf, daß jede vierte Frau einmal oder mehrfach am Arbeitsplatz belästigt wird. Sieben Prozent der belästigten Frauen haben daraufhin ihre Arbeit verloren, wurden gekündigt oder sahen sich gezwungen, selbst zu kündigen. Sechs Prozent beschwerten sich beim Betriebsrat und nur drei Prozent bei einem Vorgesetzten, obwohl diese Beschwerde für die Frauen eine immense Bedeutung haben kann: Damit kann nämlich vermieden werden, daß nach ihrer Kündigung auch noch eine Sperrfrist in bezug auf das Arbeitslosengeld sie noch zusätzlich bestraft.
nne Knauf, Mitarbeiterin des Mainzer Frauenbüros in der Stadtverwaltung, führt gerade Gespräche mit dem Arbeitsamt, um eine Frau zu unterstützen, die „zwar geschluckt, aber nichts gesagt hat“ und nun nach ihrer Kündigung nachträglich Widerspruch gegen die Sperrfrist eingelegt hat. Mit ihr sowie einem Vertreter des Personalamtes, Erhard Göppert, und auch die Pressestelle der Stadtverwaltung hat es sich nicht nehmen lassen, eine Vertreterin zu schicken unterhalte ich mich über das Tabuthema. Daß es sich tatsächlich um ein Tabu handelt, wird daran deutlich, daß immer über etwas geredet wird, was nicht beim Namen genannt wird.
„Der unglücklichste Weg ist es“, so ist von Erhard Göppert zu erfahren, „wenn Frauen sich nicht an eine Stelle wenden und Beschwerde einreichen, also entweder an das Frauenbüro, das Personalamt, den Personalrat oder den unmittelbaren Vorgesetzten, sondern stattdessen einen Rundumschlag landen: da und da und da. Und das hatten wir dann auch letzten Freitag. Das wäre einfacher zu regeln gewesen. Eine Entschuldigung hätte es mit Sicherheit auch getan.“ Göppert erzählt, es habe sich in diesem Fall um sehr junge Frauen gehandelt, die sich dann miteinander ausgetauscht haben: „Die Konsequenz war, daß es nicht mehr anonym bleiben konnte.“
„Es“ ist eben jene Geschichte über eine Kette von Sexismen und sexuellen Belästigungen, über die im Interesse der Frauen hier nicht und auch nirgendwo sonst geredet werden soll. Denn „die Frauen fühlen sich anschließend wieder in die Enge gedrückt“. Sie hatten sich schließlich an Erhard Göppert gewendet: „Sie wollten jetzt wieder mit erhobenem Haupt ins Rathaus gehen“. Anne Knauf schätzt die fehlende Anonymität nicht ganz so negativ ein: „Heute sind die Frauen ganz froh, daß der Fall positiv entschieden worden ist.“
Wie gesagt, die Geschichte selbst soll hier eigentlich gar nicht erzählt werden. Und ob der positive Ausgang, der angedeutet wurde, beinhaltet, daß der oder die Belästiger versetzt oder abgemahnt worden sind, auch darüber senkt sich der Schleier des Schweigens. Nur eins ist sicher: Mit vielen Schwierigkeiten versuchen hier das Mainzer Frauenbüro, das Personalamt und der Personalrat konstruktive Lösungen für ein gesellschaftlich gern ingnoriertes und verdrängtes Problem zu finden.
as Mainzer Frauenbüro hat dafür schon seit 1988 den Weg geebnet. Unter anderem mit Diskussionsforen zum Thema und unter dem beziehungsreichen Titel „Ich hab‘ sie ja nur auf die Schulter geküßt“. Keineswegs, so Anne Knauf, soll es etwa darum gehen, Flirts und ernsthafte beidseitig gewollte Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz zu verhindern. Denn mit Prüderie habe dies nichts zu tun, grenzt sie sich gleich ab, obwohl ihr das niemand unterstellt. Daran kann man eigentlich nur ermessen, wie schwierig sich die Kommunikation über dieses Thema ansonsten gestalten mag.
Daß dieses Frauenbüro eine fruchtbare Arbeit leistet, kann man an solch mutigen Aktionen, die die sexuell belästigten Frauen geleistet haben, erkennen. Das Frauenbüro ermuntert die Frauen, sich zu wehren. Es werden Selbstverteidigungs und Selbstbehauptungskurse angeboten, in Rollenspielen werden geschlechtsspezifisches Verhalten reflektiert und Grenzsituationen durchgespielt.
Allerdings sieht Anne Knauf, daß es wichtig ist, auch die Männer einzubeziehen. Respektvoll äußert sie sich über eine gewerkschaftliche Männergruppe in Hannover, die sich unter dem Motto „Mach meine Kollegin nicht an!“ engagieren. Im Frühjahr plant das Mainzer Frauenbüro eine Veranstaltung zum Thema „Sensibilisierung von Führungskräften“. Personalverantwortliche in der Stadtverwaltung und Frauen, die beruflich mit Frauenproblemen zu tun haben, sind eingeladen. Der Personalamtsvertreter hat immerhin zugesagt, ein Rundschreiben zur Unterstützung herauszugeben, in dem er auf die Veranstaltung hinweist. Anne Knauf mißt dem einen hohen Stellenwert zu, denn „sonst sind es wieder nur so ein paar Frauen. Es gibt der Sache mehr Bedeutung.“ Nach ihrer Erfahrung fühlen sich zumeist nur Frauen angesprochen.
Nun könnte man meinen, daß die Mainzer Stadtverwaltung ein düsteres Kapitel in Bezug auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sei. Dagegen allerdings wehrt sich die Vertreterin des Presseamts Andrea Laux entschieden. Der Unterschied zu Betrieben und Büros der freien Wirtschaft bestehe nur darin, daß es hier Institutionen gibt, die Öffentlichkeitsarbeit betreiben.
und 190.000 Frauenarbeitsplätze sind aufgrund dieser Problematik ständig in Gefahr, ergab die Infas-Studie. Nicht nur sind verdeckte Kündigungen üblich, sondern viele Frauen quälen sich mit langen Krankheitszeiten durch das vergiftete Betriebsklima. Oder die Frauen werden versetzt. Denn das erregt weniger Aufsehen, so Anne Knauf, „zumal die Frauen zumeist in den unteren Positionen sitzen.“
Das, was den Frauen im gesellschaftlichen Einverständnis üblicherweise geraten wird, ist, ihre Weiblichkeit zu verbergen, durch „dezentere Kleidung“ beispielsweise, oder sie sollen die Finger gleich ganz von der Berufstätigkeit lassen. Zurück an Heim und Herd gewissermaßen. Wie mittelalterlich es heutzutage noch zugehen kann, ist im „Wachturm“ der Zeugen Jehovas am deutlichsten abzulesen. Unter der Überschrift „Was Du tun kannst, um Deine Lauterkeit zu bewahren“ ist zu lesen: „Sei vorsichtig, was den Umgang mit Arbeitskollegen betrifft. Laß jeden wissen, daß Du hohe sittliche Maßstäbe vertrittst. Kleide Dich unauffällig“. Und: „Klug ist der, der das Unglück gesehen hat und darangeht, sich zu verbergen.“
Aber deshalb müssen wir Frauen nicht traurig sein, denn „nur wenige Tätigkeiten sind tatsächlich so glanzvoll und so interessant, wie es die Werbung verspricht“.
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