„Das Wichtigste ist: laut reden“

■ Bekannt aus Film, Funk und Fernsehen: Wahlhelfer Walter Momper und das Wahlvolk in Ost-Berlin / Mit rotem Schal und roten Tulpen auf Plätzen und Straßen / Aber: So richtig konkret wird's an den SPD-Infoständen nicht

Wahlkampf hat seinen Preis. Ralf Hirsch von der Senatskanzlei zum Beispiel wird die Wählerwerbung im Ostteil der Stadt mit einer Erkältung büßen müssen. Denn während neben ihm sein Chef Walter Momper an diversen SPD-Ständen um Wähler für die Ost-Schwesterpartei wirbt, ist Hirschs Mantel im Kofferraum vom Bürgermeister-Benz unter einem Meer von Tulpen begraben: „Sag‘ es den Ostberlinern mit Blumen.“

Für die kostenlosen Schnittblumen stellen sich die Ostberliner dann auch brav an den SPD-Ständen an. Doch die sozialdemokratischen Vasen-Füller sind als Lockmittel nicht nötig. Momper allein genügt. Als er morgens um halb zehn zum ersten Mal bei einem Stand aufwartet, bildet sich um ihn herum sofort eine Menschentraube auf dem eben noch leeren Platz am Frankfurter Tor. Und nach der 25minütigen Momper -Show sagt der Marzahner Hans Hilbert der taz: „Das war ein echtes Erlebnis.“

Genauso bei Mompers zweitem Marathon-Ziel - ein SPD-Stand vor einer Kaufhalle gegenüber dem Tierpark. Mit der Ankunft des Westberliner Stadtchefs wächst die Menschentraube sofort gewaltig an. Und Momper badet erneut in der Menge.

Trotzdem: Wen man am 18.März nun wählen soll, berichtet aus der Menge ein Mittvierziger über seinen Bekanntenkreis, wisse so recht noch niemand. „Die SPD natürlich“, antwortet daraufhin schlagfertig routiniert der stellvertretende Vorsitzende der Ostberliner SPD, Knut Herbst.

Doch so ist die gordische Verwirrung nicht aufzuknoten. Zwei vierjährige Zwillinge zeigen dies auf ihre Weise: In einer Hand wedeln sie mit einem christdemokratischen Fähnchen, in der anderen halten sie je ein Sozi-Winkelement. Diese Szene würde sich natürlich auch in jedem West -Wahlkampf abspielen - bloß hätte der Fotograf dort weniger Ärger bei der Abbildung der Kids. Im Ostteil gibt es dagegen Stunk. „So was haben wir vorm 9.November gemacht!“ schreit ihn ein Mittvierziger verärgert an und weiter: „Hast Du denen einen Lutscher gegeben, daß die das freiwillig machen?“ - Sie hatten ohne Lutscher für die SPD/CDU -Koalition gewedelt.

Was Walter zu sagen hat, interessiert die Leute brennend. Alle haben ungeheure Angst vor einer Entwertung der Ost -Mark, vor steigenden Mieten, vor zusammengestrichenen Subventionen und davor, daß die Plätze in den Kindertagesstätten schrumpfen könnten. Und egal, ob nun unterm SPD-Schirm vor der Kaufhalle am Rödernplatz oder dem Handelshaus in Hohenschönhausen, Wahlhelfer Walter („Ich will was lernen“) hört immer wieder demonstrativ geduldig und „bürgernah“ hin.

Seiner Meinung nach ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Vereinigung, wie sie denn auch immer aussehen mag, eine „Währungsunion„. Renten und Löhne müßten erhöht, die Subventionen gekürzt oder gestrichen werden. Fragen zu Kitas schiebt er an Herbst ab: „Damit kennst du dich aus.“ Der antwortet übrigens auf alles erst einmal: „Da haben wir Sozialdemokraten einen ganz klaren Standpunkt.“ Glauben will ihm das aber dennoch so recht niemand. Denn was er sagt, ist nicht entschieden genug. Bei den Kindertagesstätten zum Beispiel wolle man nicht kürzen. Aber um das zu bestimmen, müsse man Regierungspartei werden. Und auch dann könne man nicht alles machen, was man gewollt habe. Momper formuliert es professionell volksnah und griffiger: „Wer sich an den Kitas vergreifen will, wird sich die Finger verbrennen.“ Das beruhigt dann manche Mutter.

Nur eine Westlerin vermasselt Momper ein wenig die Show: „Und warum streiken die dann im Westen seit vier Wochen?“ Momper rechnet der Menge die Gruppengröße vor („2,8 Erzieher auf maximal 15 Kinder“) und schon gucken Ostberliner Mütter die Polit-Touristin mit großen Augen an: „Und da streikt ihr?“ Daß der Regierende die Diskussion geschickt beendet hat, dämmert Herbst nicht. „Außerdem wollen wir die Probleme in unser Stadt bereden“, schiebt der Neu-Politiker eher ungeschickt nach.

Dazwischen verteilt Unterstützer Momper auch Nachhilfeunterricht für die Ost-Sozis. Öfters erinnert er Anne-Katrin Pauk und Knut Herbst daran, „laut zu reden“: „Wichtigste Voraussetzung für einen guten Politiker ist eine laute Stimme. Die Straße ist die beste Schule.“ In der Menge treffen solche Äußerungen auf Sympathie.

Wenn am SPD-Stand das Publikum mit Fragen einmal nicht so recht in Gang kommt, fängt Walter an, selbst nachzuhaken. „Wie haltet ihr das, wenn SEDler Parteimitglied werden wollen“, fragt er seine Ost-Basis. Die Antwort auf diese Frage lautet: Sie dürfen auf Mitgliederversammlungen dabeisein, und nach einem Jahr Teilnahme wird abgestimmt, ob sie in die SPD aufgenommen werden - so der Beschluß in einem Ostberliner Ortsverein.

Dirk Wildt