: Fünf Sechstel sollen gehen
■ „Medienwende“ in der DDR - zwischen Hoffnung und Niedergeschlagenheit
Sie sind total verunsichert, die Medienschaffenden in der DDR. Nicht nur, daß die Wende ihnen Freiräume gebracht hat, sie erst mit Mühe füllen, wie auch in allen anderen Wirtschaftszweigen droht mit der Marktwirtschaft auch eine Entlassungswelle ohne gleichen.
Einige Presseorgane haben ihre Starjournalisten der Ersten Stunde bereits aufs Altenteil oder in die Wüste geschickt.
Die „Aktuelle Kamera“ konnte sich das bisher allerdings nicht leisten. Die GenossInnen dürfen sich jetzt zwar nicht mehr auf dem Bildschirm zeigen, sie sitzen aber weiterhin in der Redaktion. Ohne ihre Fachkompetenz sei die Sendefähigkeit der „Aktuellen Kamera“ gefährdet, meint Lutz Herder auf einer Veranstaltung zur „Medienwende“ in Ost -Berlin. Aber auch bei der „Lokomotive des DDR-Fernsehens“ sieht man die Zukunft nicht unbedingt rosig. Daß jetzt einige Redaktionen Federn lassen müssen, ist allen klar. Ohne die staatlichen Subventionen bei der ehemaligen FDJ -Tageszeitung 'Junge Welt‘ - es waren bislang jährlich 32 Millionen Mark - werden einige KollegInnen dort ihren Hut nehmen müssen. In den Zeitungen darf zwar schon Westwerbung geschaltet werden, für die elektronischen Medien gilt jedoch noch das strikte Werbeverbot. Des weiteren steht ab 1.April eine drastische Preiserhöhung bei allen Presseerzeugnissen ins Haus. In wenigen Wochen werden die Tageszeitungen in der DDR bis zu einer Mark kosten. Aber daß es ohne westliche Kapitalgeber nicht mehr gehen wird, ist kein Geheimnis mehr. Wie die Forderungen der künftigen Mitfinanziers ausehen, brachte Frank Schuhman, Chefredakteur der 'Jungen Welt‘, klar zum Ausdruck: Die westdeutschen Verlagshäuser, die sich drüben die Klinke in die Hand geben, verlangten von der Jugendzeitung die Reduzierung der Belegschaft auf ein Sechstel. „Wir haben dankend abgelehnt“, sagte Schuhman, denn „man soll nicht kampflos die Flinte ins Korn werfen, vor allem, wenn das Korn noch nicht reif ist.“ Noch vermittelt er den Eindruck, die Trümpfe in der Hand zu haben. Immerhin sei die 'Junge Welt‘ die einzige Tageszeitung für Jugendliche im deutschsprachigen Raum.
Doch noch andere düstere Wolken werfen Schatten auf die neugewonnene Freiheit. Die Entlassungen Ende des Jahres haben fast überall zum Verlust der intellektuellen Substanz geführt. „Wir krauchen auf dem Zahnfleisch“, meinte Frank Schuhman. Der Kommandosozialismus habe dazu geführt, daß die JournalistInnen ihr Handwerk nicht beherrschten. „Es ist entsetzlich, was in den letzten Wochen verbreitet wurde. Meldungen wurden einfach ohne Nachrecherche übernommen. Denen folgen Gegendarstellungen, Berichtigungen und neue Erklärungen. Auch die Qualität der KollegInnen bei der „Aktuellen Kamera“ läßt laut Herder zu wünschen übrig. „Es zeichnet sich zwar eine unkonventionelle und bewegliche Arbeitsweise ab, aber die Sprachprobleme und die Starrheit der Bilder sind noch nicht überwunden.“ Jetzt wird versucht, dieses Problem mit „frischem Blut“ zu lösen. PraktikantInnen, jung und unbelastet, sollen bei der „Aktuellen Kamera“ für neuen Pepp sorgen.
Die Medienwende hat zwar dazu geführt, daß sowohl die „Stimme der DDR“ als auch die „Aktuelle Kamera“, vor allem „ak zwo“, zum ersten Mal bei den Zuschauern beliebt sind, aber die neue Eigenständigkeit und völlige Eigenverantwortung bringen auch Probleme mit sich. Noch immer schimmere die devote Art der Reporter durch, so Lutz Herder. Doch auch mit einer selbstbewußten Haltung gegenüber dem geschätzten Publikum gibt es noch Probleme. Wie mit der Leserbrief- und Beschwerdeflut umgegangen werden soll, ist noch nicht geklärt. Unsicherheit herrscht auf allen Ebenen, weil das Korn schneller gereift ist, als bislang vermutet. Neue Ideen, Konzepte oder Vorstellungen hatten die Herren nicht zu bieten. Die Angst vor dem großen Mähdrescher scheint dazu geführt zu haben, daß bereits jede Menge Flinten im Korn liegen.
Marina Schmidt
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