Ivan der Mufflige

Ivan Lendl tritt beim Tennisturnier von Mailand in die Fußstapfen des verschüchterten John McEnroe  ■  PRESS-SCHLAG

John McEnroe scheint der Schreck von Melbourne, wo er bei den Australian Open im Match gegen den Schweden Mikael Pernfors ohne Umschweife disqualifiziert worden war, mächtig in die Glieder gefahren zu sein. Da spielte er in Mailand gegen seinen Landsmann Tim Mayotte zum Teil gröblichsten Mist zusammen, verlor sein Halbfinale mit 4:6, 4:6 und anstatt wie üblich in Tobsucht und Verfolgungswahn abzugleiten, blieb er geradezu beängstigend gefaßt. Hier mal ein kleiner Hieb mit dem Schläger auf den Boden, da mal ein zweifelnder Blick, ein entrüstetes Aufblitzen, eine wütende Ausholbewegung mit dem Racket, aber dann gleich ein fast schuldbewußter Blick zu Schiedsrichter Richard Ings, mit dem er sich in der Vergangenheit so manch begnadetes Wortgefecht geliefert hatte.

Die fast übermacsche Beherrschung, mit der er seine gepeinigten Nerven im Zaum hielt, wenn wieder einmal ein Linienrichter den Ball ganz woanders aufspringen sah als er, ließ um seine geschwollenen Zornesadern fürchten, und wenn er beim Breakball ans Netz stürmte, um dann aus glänzender Position den Volley unkonzentriert in die Maschen zu wuchten, schien es, als liefe das imaginär über ihm schwebende Damoklesschwert der drohenden Disqualifikation gleich mit. Brav fügte er sich schließlich in sein Debakel, ganz im Gegensatz zu den 8.000 in der Halle, die ihren Liebling zu gern im Finale gesehen hätten und beim Matchball von Mayotte entsprechend unhöflich herumlärmten.

McEnroe mag sich jedoch trösten, sein Nachfolger als Bösewicht, Griesgram, Rumpelstilzchen und Schiedsrichterschreck steht schon bereit. Es handelt sich um keinen Geringeren als Ivan Lendl, den bislang so coolen Tschechoslowaken, der in seinem Halbfinale gegen den Amerikaner Pete Sampras zum Alleinunterhalter avancierte. Lendl hat derzeit mit einigen Unwägbarkeiten fertigzuwerden, von denen der Führungsanspruch des Boris Becker noch die geringste ist. Weit schwerer wiegt, daß sein angestammter Schläger nicht mehr produziert wird. Die letzten 300 hat er sich zwar gesichert, gleichzeitig aber einen Vertrag mit einer neuen Firma abgeschlossen. In Mailand testete er in den ersten Runden sein neues Werkzeug, war aber ziemlich unzufrieden und spielte im Viertelfinale gegen Jim Courier und im Halbfinale lieber wieder mit dem alten Racket, nach Ansicht der anderen Tennisprofis im übrigen ein „katastrophales Ding“ (Boris Becker).

Auch Lendl brachte die Geräuschverliebtheit des italienischen Publikums auf die Palme und trieb ihn zu Beginn des entscheidenden dritten Satzes gar zu einem mehrminütigen Sitzstreik. „Da sitzt er“, wetterte Lendl, deutete auf jenen Schreihals, der ihn mit ständigen Zwischenrufen nervte, nahm seinerseits Platz und weigerte sich weiterzuspielen, solange dieser vorlaute Mensch in der Halle wäre. Es folgte eine großangelegte Fahndungsaktion, an der das gesamte Publikum begeistert Anteil nahm. Dem Turnierdirektor höchstpersönlich gelang es schließlich, den wortgewaltigen Schurken zu stellen und ihm ins Gewissen zu reden.

Kaum war dieser Fall geklärt, Lendl wieder auf dem Platz, wendete er seinen Zorn den Bällen zu. Als weile er auf einem Obstmarkt, drückte und tastete er an ihnen herum, befand sie der Reihe nach für unwürdig, von ihm übers Netz befördert zu werden und gab erst Ruhe, als ihm der Schiedsrichter einige neue Spielgeräte zubilligte, mit denen er dann auch sofort mehrere Aufschlagasse fabrizierte.

Der junge Sampras war den vielfältigen Verrichtungen seines Gegenübers, der sich in der Folge darauf verlegte, Eisverkäufer und Zigarettenhändler, die auf den Tribünen ihrem Tagewerk nachgingen, mit seinem Haß zu verfolgen, nervlich nicht gewachsen. Nachdem er den ersten Satz überraschend mit 6:3 gewonnen, den zweiten mit 0:6 verloren hatte, gab er dritten Durchgang mit 3:6 ab. Das Finale mit Muffel Lendl und Tim Mayotte war bei Redaktionsschluß noch nicht beendet.

Matti