piwik no script img

Kiez-Kinder-Power am „Kolle“

■ Bei den Kids lebt die Idee der Räte in Ost-Berlin weiter: 276 Kinder vom Prenzlauer Berg gründeten „Rat der Kinder“ / Rund um den Kollwitzplatz gibt's Action und Forderungen / Ihr Medium ist die Kinderzeitung „Spiel & Spaß & Traurigkeit“

Premiere im Tagungssaal des Rates des Stadtbezirkes Prenzlauer Berg. Über 200 Mädchen und Jungen im Alter zwischen 6 und 13 Jahren trafen sich dort, um einen „Rat der Kinder“ in diesem Ostberliner Stadtteil zu gründen.

Kindereien? Mitnichten! Die Idee wurde am Kollwitzplatz, unweit der berühmten, weil im Altberliner Stil wiederhergestellten, Husemannstraße und dem dort befindlichen „Restaurant 1900“ geboren. Seit gut drei Jahren gibt es für die hier lebenden Kinder ein Freizeitangebot, das seit seinem Bestehen alles bisher Dagewesene von Pionier - und FDJ-Organisation bis zu den Arbeitsgemeinschaften der Schulen in den Schatten stellte. Es ist bewußt DDR-untypisch und anders: flexibel, ideenreich, fern jeglicher Ideologiebekenntnisse - eben voll auf Kinder und ihre Belange eingestellt. „Spielwagen Berlin 1“ nennt sich das Unternehmen. Angefangen hat es mit fünf, inzwischen sind es sieben junge Leute, alle Ende 20, die sich für und vor allem mit Kindern engagieren. Alles in ihrer Freizeit, nach der Arbeit, in der sie als Tischler, Student, Hausfrau oder promovierter Landwirt tätig sind. Bis es den „Spielwagen 1“ gab, fehlte es den Kids im Kiez an Orten zum Spielen und Treffen. Ein alter Eckladen, Wörther-/Ecke Knaackstraße, bot sich für die Ideen von „Spielwagen 1“ geradezu an.

Heute ist aus ihm ein heller, funktionell eingerichteter Raum geworden - alles in Eigeninitiative entstanden -, vor allem in den Wintermonaten Treffpunkt für die Kinder. Tägliche Öffnungszeiten sind bislang leider nur Wunschträume. Es fehlt dazu immer noch an grundsätzlichen Dingen: kein Wasseranschluß, keine Toilette! Doch auch diese Hindernisse schmälern nicht den Erfolg. Die Teestunden (das Wasser dafür bringen die Spielwagen-Leute in 10-Liter -Kanistern mit!) jeweils am Dienstag und Donnerstag zwischen 16 und 18 Uhr sind gerammelt voll. Hochkonjunktur hat die Spielwagen-Truppe aber in den Frühjahrs- und Sommermonaten. Dann nämlich geht's vor die Tür, auf den Kollwitzplatz, den „Kolle“, wie er hier im Kiez genannt wird. Immer neue Aktionen denken sich die „Großen“ für, aber auch mit den „Kleinen“ aus. Das bislang aufsehenerregendste Ereignis fand im vergangenen Sommer statt: „Spiellandschaft Stadt“. Ein völlig neuartiges Spielangebot für Kinder. Dabei entstand aus verschiedenen Materialien eine von den Kindern selbstgebaute Stadt, in der ein „normales Leben“ funktionierte. „Die gesamte Stadt ist Aktions-, Spiel- und Erfahrungsraum für die Kinder“, erklärten Nilson Kirchner und Anett Sorge, zwei aus der Spielwagen-Mannschaft. Auf dieser Idee basierend entstand damals ein Rathaus, die Post, eine Kneipe und ein Konsum, sogar ein Krankenhaus. Es waren nahezu alle Berufe in dieser Spielstadt vertreten, selbst Zeitungsjournalisten dokumentierten das aktuelle Stadtgeschehen in der „Ki-Zet“. Das war auch die Geburtsstunde der heutigen Kinderzeitung „Spiel & Spaß & Traurigkeit“ - einer Kinderzeitung vom Kollwitzplatz von Kindern für Kinder. Ihren Sitz hat sie natürlich im Eckladen von Spielwagen Berlin 1. Ihre erste Ausgabe, lange vor der Wende in der DDR geplant, erschien damals nicht. Der Grund: Die Druckgenehmigung wurde vom Rat des Stadtbezirks nicht erteilt.

Heute ist dieser bürokratische Weg nicht mehr notwendig. Zweimal erschien das Blatt bisher. Sieben Kinder sind an seiner Herstellung beteiligt. Sie heißen Johanna, Christoph, Benjamin, Johannes und sind 13, Till ist mit 9 Jahren der Jüngste unter den Machern. Angetreten sind sie mit dem Konzept, „Interessantes aus dem Kiez vorzustellen“ (Christoph), „meine Meinung mitzuteilen“ (Johannes), zu „schreiben, was Kinder gut finden“ (Johanna) oder „wie das Leben im Kiez verbessert werden kann“ (Till). Sie setzten sich beispielsweise ein für den Wiederaufbau des letzten gußeisernen Klos oder veröffentlichten einen Brief der Redaktion an die Münchner Kinderzeitschrift „KiZ“ mit dem Wunsch, Kontakte zu knüpfen. (Unterschrieben haben sie übrigens mit „Auch die Kinder sind das Volk“). Auch an Rätsel und Comics haben sie gedacht, sogar eine Anzeigenecke wurde untergebracht, in der zunächst in eigener Sache gesucht wird, möglichst nach einer Schreibmaschine!

Ihre Zeitung kommt an. In der Schule wird sie den Redakteuren förmlich aus den Händen gerissen. Besonders der Beitrag „Wir über Politik & Politiker“ in der ersten Ausgabe sorgte für Aufsehen bei den Lesern. „Manche Politiker sind alte Opas, die offenbar keine Ahnung von Kindern und ihren Interessen haben. Wir finden, daß jüngere Politiker sich besser an ihre Kindheit erinnern können und überhaupt: Politker sollten sich viel mehr mit Kindern unterhalten, und zwar nicht nur mit ihren eigenen. Die meisten Politiker reden viel zu viel und machen viel zu wenig.“

Gemeinsam mit ihren Spielwagen-Mitarbeitern hatten die jungen Redakteure die Idee einer „Kindervertretung“ im Stadtbezirk. Sie druckten 8.000 Flugblätter, mit Unterstützung des Rates Prenzlauer Berg übrigens, in dem sie zur Teilnahme an der Wahl der Interessenvertretung der Kinder aufriefen, und verteilten sie in den 42 Schulen des Stadtbezirks. Auch an den Jugendausschuß des Rates, an Schülerklubs, an Pionier- und Kirchenvertreter gingen Exemplare. Mitte Januar fanden sich dann genau 276 Kinder ein. Vertreter des Pionierverbandes und der Kirche fehlten allerdings völlig. Doch die Wünsche der Kinder sind berechtigt: mehr und bessere Spielplätze, mehr Tempo-30 -Zonen im Wohngebiet, Mitgestaltung der Schulen, Zugang zu den Medien, weg mit dem Hundedreck auf den Spielplätzen! Vieles ging an diesem Tag noch durcheinander. Die Fähigkeit sich konkret zu äußern, gar mit einem Paket Forderungen aufzutreten, haben die Kids bisher nicht trainiert. Dies ließ bei manch älterem Anwesenden Zweifel am Sinn dieser Veranstaltung aufkommen. Fakt jedoch ist, Erwachsene dürfen nicht länger über die Köpfe der Kinder hinweg entscheiden. Daß dies zumindest in Prenzlauer Berg keine Zukunftsvision bleibt, erklärt die Tatsache, daß am 18. Januar per Ratsbeschluß der Aufbau eines „Netzwerkes Kinderkultur“ beschlossen wurde. Als Referent für Kinderkulturarbeit wurde Nilson Kirchner vom Spielwagen Berlin 1 gewählt. Erste Aktion wird sein, einen Info-Laden für Kinder aufzubauen natürlich am Kollwitzplatz. Wie wirksam letztlich der Kinderrat sein wird, müssen die Kids selbst ausprobieren. Zu ihrer zweiten Beratung am 6. März haben die Mädchen und Jungen beschlossen, an allen Schulen einen Delegierten zu wählen, um so ein handlungsfähiges Gremium aufzubauen.

Georgia Förster

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen