Massenproteste verstärken und Sanktionen aufrechterhalten

Auszüge aus Nelson Mandelas Rede vom Rathausbalkon in Kapstadt nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis: „Wir haben keine andere Wahl, als weiterzukämpfen“  ■ D O K U M E N T A T I O N

Im Moment kann ich nur einige vorbereitende Kommentare abgeben. Sobald ich meine Kameraden konsultiert habe, werde ich ein kompletteres Statement abgeben. Die Mehrheit der Südafrikaner, schwarz und weiß, hat verstanden, daß Apartheid keine Zukunft hat.

Sie muß durch unseren Massenprotest zu einem Ende gebracht werden, damit Frieden und Sicherheit aufgebaut werden können. Die Kampagne zivilen Ungehorsams und Aktionen unserer Organisation können nur im Aufbau von Demokratie münden. Die Verwüstungen, die Apartheid auf unserem Subkontinent angerichtet hat, sind unermeßlich hoch. Das Familienleben von Millionen von Menschen wurde zerstört, Millionen sind obdachlos und ohne Arbeit. Unsere Ökonomie ist vor dem Ruin und unser Volk verstrickt in politische Kämpfe. Daß wir 1960 den mili tärischen Flügel des ANC - Umkhonto we Sizwe - gründeten, war blanke Verteidigung gegen die Zerstörungsgewalt der Apartheid.

Die Faktoren, die den bewaffneten Kampf damals bedingten, existieren auch heute noch. Wir haben gar keine andere Wahl, als weiterzukämpfen. Deswegen wollen wir hier nochmals die Hoffnung äußern, daß bald ein Klima hergestellt wird, das eine ausgehandelte Abmachung fördert. Dann brauchen wir auch keinen bewaffneten Kampf mehr. Ich bin ein loyales Mitglied des ANC und stehe hinter all seinen Zielen, Strategien und Taktiken.

Daß die Menschen unseres Landes sich zusammentun, ist so notwendig und wichtig, wie es schon immer war. Kein einzelner Führer kann diese Verantwortung allein auf seinen Schultern tragen.

Heute will ich euch sagen, daß meine Gespräche mit der Regierung die Normalisierung der politischen Situation im Land zum Ziel hatten. Die grundsätzliche Forderung unseres Kampfes haben wir überhaupt noch nicht diskutiert. Deswegen will ich hier auch ausdrücklich betonen, daß ich zu keiner Zeit Verhandlungen über die Zukunft unseres Landes begonnen habe, außer daß ich darauf bestand, daß ANC und Regierung sich treffen sollen. Herr de Klerk ist weiter als jeder andere Präsident der Nationalisten gegangen und hat wirkliche Schritte zur Normalisierung der Lage unternommen.

Doch da sind noch viel mehr Schritte der Erklärung von Harare, die noch gemacht werden müssen, das ist klar. Ich wiederhole hier nochmals unsere Forderung nach der sofortigen Beendigung des Ausnahmezustandes und der Freilassung aller, und nicht nur einiger, politischer Gefangener. Nur eine solche Situation, die freies politisches Agieren ermöglicht, gibt uns die Möglichkeit, unsere Leute zu konsultieren, um ein Mandat zu erhalten. Das Volk muß schließlich befragt werden, wen es als Verhandler will und was die Inhalte solcher Verhandlungen sein sollen. Und diese dürfen auch nicht hinter dem Rücken oder über die Köpfe unseres Volkes hinweg laufen. Wir glauben, daß die Zukunft unseres Landes nur durch eine Regierung, die demokratisch und auf nichtrassischer Basis gewählt wurde, bestimmt werden soll.

Verhandlungen über die Abschaffung der Apartheid müssen dem überwältigenden Wunsch unseres Volkes nach einem demokratischen, nichtrassistischen und geeinten Südfrika Rechnung tragen. Die weiße Vorherrschaft muß beendet und das politische wie ökonomische System grundsätzlich restrukturiert werden, damit auch glaubhaft wird, daß unsere Gesellschaft sich demokratisiert. Ich möchte hier hinzufügen, daß Herr de Klerk ein integrer Mann ist. Aber als Organisation basiert unsere Politik wie auch Strategie auf der harten Realität, der wir ins Angesicht sehen und der wir immer noch ausgesetzt sind: durch die Herrschaft der „Nationalen Partei“.

Unser Kampf geht nun in die entscheidende Phase. Wir appellieren daher an unser Volk, diesen Moment nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzten. Zu lange haben wir auf unsere Freiheit warten müssen. Wir können nicht länger. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, den Kampf an allen Fronten zu verstärken. Jetzt nachzulassen wäre ein Fehler, den uns folgende Generationen nicht verzeihen werden.

Daß wir die Freiheit am Horizont glänzen sehen, sollte uns ermutigen, unsere Anstrengungen zu verdoppeln. Nur mit dispizplinierten Massenprotesten können wir unseres Sieges sicher sein. Ich fordere hiermit all unsere weißen Landsleute auf, beim Bau eines neuen Südafrikas mitzumachen. Die Freiheitsbewegung ist auch für euch eine politische Hoffnung.

Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die Kampagne zur Isolierung des Apartheidregimes fortzusetzen. Jetzt Sanktionen zu lockern birgt die Gefahr in sich, die vollständige Zerstörung der Apartheid zu verhindern.

Es gibt keine Umkehr auf unserem Weg in die Freiheit, und wir dürfen der Angst keinen Raum lassen. Eine gemeinsame Stimme für ein vereintes, demokratisches und nichtrassistisches Südafrika ist der einzige Weg in Freiheit und Harmonie unter den Rassen.

Ganz zum Schluß möchte ich zurückgehen zu meinen eigenen Worten während des Prozesses 1964: Sie waren damals so wahr wie heute. Ich zitiere: „Ich habe gegen weiße Vorherrschaft gekämpft, und ich habe gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Und ich halte am Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft fest, in der alle Menschen harmonisch und mit gleichen Rechten zusammenleben.“ Für dieses Ideal lebe ich, und wenn es notwendig sein sollte, bin ich bereit, für ebendieses Ideal zu sterben.