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West-östliches Antimilitaristen-Treffen

■ Totalverweigerer in der DDR hoffen auf gesetzliche Absicherung nach den Volkskammerwahlen / Bonner Gesetze auch Verschlechterung für Zivildienstleistende / Kein gemeinsamer Ostermarsch über die innerdeutsche Grenze aus Angst vor Vereinnahmung durch Nationalisten

Berlin (taz) - „Die Wehrpflicht in der DDR ist de facto vorübergehend aufgehoben.“ Michael Frenzel vom Freundeskreis der Wehrdiensttotalverweigerer aus Ost-Berlin sieht die Zukunft optimistisch, seit der Runde Tisch auf Antrag der Intiative Frieden und Menschenrechte am 22.Januar beschlossen hat, daß „Wehrdiensttotalverweigerer strafrechtlich nicht verfolgt werden“. Zwar haben diese Beschlüsse nur Empfehlungscharakter, aber immerhin ist damit der Zustand stillschweigender Duldung aus den letzten Jahren vor der Wende offiziell festgehalten. Ausgearbeitet wurde der Entwurf von Mitgliedern des Freundeskreises der Totalverweigerer in Ost-Berlin.

In einem Antimilitarismus-Seminar berieten sie am vergangenen Samstag und Sonntag in beiden Teilen Berlins über Fragen der Zivildienstgesetzgebung und Wehrpflicht. Zu dem Treffen, das einem „ersten gemeinsamen Austausch zwischen Menschen und Gruppen, die seit längerem gegen die Wehrpflicht und Armee arbeiten“, dienen sollte, waren auch zahlreiche Vertreter von Organisationen aus der Bundesrepublik, Polen, der Schweiz, der CSSR, den Niederlanden, Österreich, Griechenland und Irland erschienen.

Kein Zwang

Michael Frenzel hofft, den Beschluß des Runden Tisches auch in einer Verfassung der DDR nach den Volkskammerwahlen am 18.März verankern zu können. Eine Arbeitsgruppe des Runden Tisches, in der sowohl Militärs wie auch Totalverweigerer vertreten sind, hat erst letzte Woche beschlossen, in die Verfassung aufzunehmen, daß „keiner gegen seinen Willen zum Wehrdienst gezwungen werden darf“. Wenn es dann später zu einer deutsch-deutsche Vereinigung käme, so Frenzel, bestehe die Chance, nicht einfach das bundesdeutsche Grundgesetz übernehmen zu müssen, sondern über eine gesamtdeutsche Verfassung neu zu diskutieren. Seine Gruppe tritt für die „Abschaffung der Wehrpflicht“ und die „totale Abrüstung“ ein.

Wehrdienstverweigerer bewegten sich in der DDR nach der Wende zunächst in einer rechtlichen Grauzone. Der Entwurf für ein Zivildienstgesetz wurde Anfang Januar von der Volkskammer in erster Lesung abgelehnt. Eine zweite Lesung wurde nach dem Beschluß des Runden Tisches vom 22.Januar ausgesetzt. Seither allerdings wurde der Ersatzdienst auf zwölf Monate festgesetzt und entspricht damit, im Gegensatz zur Bundesrepublik, der Länge des Militärdienstes. Ein weiterer Punkt, an dem die Betroffenen nun die Übernahme von Bonner gesetzen verhindern möchten.

Zivis ersetzen Ausgereiste

Schon jetzt arbeiten Angehörige der Volksarmee im sozialen Bereich, ähnlich wie Zivildienstleistende in Westdeutschland. Die anhaltende Ausreisewelle und der damit verbundene Mangel an Pflegekräften hat diese Regelung möglich gemacht. Die Soldaten erhalten ihren normalen Sold weiter, können aber zu Hause schlafen.

Obwohl die meisten der etwa 100 Teilnehmer den Erfahrungs und Informationsaustausch auf dem Berliner Treffen positiv bewerteten, gab es auch Enttäuschung. Besonders Vertreter aus der Bundesrepublik beklagten, daß zuwenig über konkrete deutsch-deutsche Aktionen gesprochen wurde. Die Idee zu einem Ostermarsch über die innerdeutsche Grenze wurde aus Angst vor der Vereinnahmung durch den gegenwärtig starken Nationalismus wieder verworfen. Der Grundkonsens der Seminarteilnehmer aber blieb unangetastet. In einer Abschlußerklärung heißt es: „Unser Ziel ist die Abschaffung des Militärs.“

Torsten Rüpprich

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