: Wie Adenauer damals die Berliner austrickste...
■ Obwohl Berlin durch den Sitz des Interalliierten Kontrollrates praktische Hauptstadt war, verlor sie bis in die 50er Jahre den Kampf gegen das Provinznest Bonn / Der 1957 beschlossene Umzug nach Berlin wurde durch das Chruschtschow-Berlin-Ultimatum von 1958 vereitelt
„Berlin kann und darf nicht wieder Hauptstadt werden“, erklärte 1946 der Oberbürgermeister von Frankfurt, Dr. Kolb; eine Hauptstadt müsse zwischen Reben hängen und nicht zwischen Kartoffeläckern. Sehr populär war ein Jahr nach Beendigung des Krieges diese Auffassung nicht. Eigentlich hatte Kolb nur einen starken Verbündeten, und das war der damalige Vorsitzende der CDU in Nordrhein-Westfalen, Konrad Adenauer. Dem war Berlin zuwider und erst recht Preußen. „Wir im Westen lehnen vieles, was gemeinhin preußischer Geist genannt wird, ab.“
Die Mehrheit der Deutschen aber und mit ihnen auch anfänglich die Alliierten sahen das anders. Sicher, Preußen war mit Beendigung des Krieges untergegangen, und mit Preußen auch ihre Hauptstadt Berlin. Berlin aber hatte einen Doppelcharakter, es war auch die Hauptstadt des Deutschen Reiches, und Deutschland als Staat existierte fort, auch wenn die Inhaber der obersten Staatsgewalt keine deutsche Regierung, sondern der Interalliierte Kontrollrat war. Der Sitz dieser obersten Staatsgewalt war Berlin, und damit war es de jure und de facto Hauptstadt, allerdings eine im Wartestand. „Berlin wird von allen vier Besatzungsmächten als Verwaltungshauptstadt angesehen“, betonte 1946 der Direktor der US-Militärregierung in Berlin. „Die Amerikaner hoffen, daß Berlin auch in einem künftigen Deutschland wieder Hauptstadt sein wird. Es ist durch seine Stellung als Industrie-, Verkehrs- Handels- und Regierungszentrum dazu bestimmt.“ Die Berliner selbst gingen ohnehin davon aus, daß Berlin wieder Hauptstadt wird. Der erste Bürgermeister von Berlin, Dr. Ostrowski, ermunterte den Stadtbaurat Professor Scharoun, den Wiederaufbau der Stadt in weltstädtischen Dimensionen zu planen. Berlin sollte nicht nur Hauptstadt eines deutschen Einheitsstaates, sondern auch noch Metropolis mit weltstädtischem Flair werden.
Aber die tatsächliche Entwicklung verlief anders. Der Wirtschaftsverbund der Alliierten, die Wahl Frankfurts zum Sitz des Bi-Zonenrates, die Währungsreform und der sich aus all diesen Entscheidungen entwickelnde Ost-West-Konflikt verdeutlichten plötzlich, daß Berlin inmitten der russischen Zone lag und die alliierte Zusammenarbeit im Kontrollrat ein fragiles Provisorium war. Deutschland, so überlegten die Alliierten und allen voran die Engländer, könne kein Zentralstaat mit Sitz in Berlin, sondern nur eine föderativ gestaltete Republik, Berlin nichts anderes als ein Land unter Ländern werden.
Für die Berliner war es deprimierend anzusehen, daß westzonale Politiker ab Ende 1947 begannen, ein trick- und intrigenreiches Doppelspiel zu treiben. Auf der einen Seite erklärten die Politiker, Adenauer vorneweg, daß die Bi- und Trizone nicht die Aufgabe des Einheitsgedankens wäre, Berlin weiterhin „Symbol der deutschen Einheit“ sei und deshalb Hauptstadt sein müsse, auf der anderen Seite bastelten sie an einer vorläufigen, „provisorischen“ Hauptstadt - eine im vorauseilenden Gehorsam auf alliierte Interessen westorientierte Politik.
Die sowjetische Blockade Berlins versetzte dann auch der Hauptstadtdiskussion den Todesstoß. Berlin und ihr Bürgermeister Ernst Reuter, der gerade die Völker der Welt aufgefordert hatte, diese Stadt nicht im Stich zu lassen, wurde mit Feierabendrhetorik abgespeist. Berlin wurde mit dem Ehrentitel „Hauptstadt der Zivilcourage“ vertröstet, im übrigen war sie eine „Insel hinter dem Eisernen Vorhang“, eine „Frontstadt“, ein „Pfahl im Fleisch der Sowjets und der SED“. Regierungssitz wurde das verschlafene Weinbauerndorf Bonn. Die „provinziellste, risikofreieste und satteste Lösung hat sich durchgesetzt“, kommentierte 'Die Zeit‘ böse Adenauers Heimspiel.
Die Entscheidung des Parlamentarischen Rates, „Bonn zur provisorischen Hauptstadt“ zu machen, erboste die Berliner zutiefst. Sie fühlten sich von „Westdeutschen“ und ihren Vertretern in „Pensionopolis“ verraten und verkauft. Sie mußten auch mitansehen, daß im Zuge der gegen Berlin gefällten Hauptstadtentscheidung auch die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Berlin zu schwinden begann. Reuters Hoffnung, „Berlin mit solch einer wirtschaftlichen und kulturellen Energie zu entwickeln, daß deutlich wird, daß die Stadt nicht nur für den Westen, sondern für ganz Deutschland steht“, erfüllte sich nicht. Die Stadt hing am Subventionstropf, wurde zum teuren Anhängsel des beginnenden Wirtschaftswunderlandes Bundesrepublik. Aus Berlin wanderten die Leute aus.
Das von den Berlinern tapfer gesungene Lied Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin galt nicht mal für die Abgeordneten des Bundestags. Höchst selten machten sie sich zu Pflichtbesuchen „in den Osten“ auf, gelegentliche Sondersitzungen im Reichstag wurden in schwülstigem Einheitsgerede abgefeiert. Von der Hauptstadt Berlin redeten nur noch die Berliner, ihre sozialdemokratischen Bürgermeister und die Presse. Die fordernde und drängende Haltung, wenigstens einzelne Ministerien nach Berlin zu verlagern, fand Mitte der fünfziger Jahre allmählich Widerhall bei führenden CDU- und FDP-Politikern. Mit detaillierten Plänen wurde dem Adenauer-Kabinett vorgerechnet, daß die Teilung der Stadt kein Hauptstadthindernis sei, denn „auch Jerusalem ist eine geteilte Stadt“.
Die im Wahlkampfjahr 1956 zum Mittelpunkt aufgerückte Deutschlandfrage, die Öffentlichkeitsarbeit des überparteilich arbeitenden „Kuratoriums unteilbares Deutschland“ und die lautstarke Initiative des CDU -Bundestagsabgeordneten und Berlin-Beauftragten Gerd Bucerius führten dazu, daß der Jahreswechsel 1956/57 Höhe aber auch Wendepunkt einer offensiven Wiedervereinigungspolitik wurde. „Berlin muß Hauptstadt werden, jetzt oder nie“, hieß die Devise, und der millionenfach unterschriebene Aufruf: „Bundesrat und Bundestag mögen beschließen, Berlin ist die Hauptstadt Deutschlands“ setzte Adenauer unter Druck. Es war ihm nicht mehr möglich, mit gespaltener Zunge zu reden, klare Worte waren gefragt. Und er fand sie: „Berlin“, so erklärte er Ende 1956, „wird in absehbarer Zeit nicht Hauptstadt werden, der Viermächte-Status der Stadt verhindert dieses, Berlin ist nicht souverän.“ Schützenhilfe erhielt Adenauer vom Intimfeind SED. „Jeder Punkt West-Berlins ist von der DDR aus in 15 Minuten zu erreichen“, warnte das Berliner ZK -Mitglied Neumann, „das Hauptstadtgerede im Bundestag ist ein politischer Massenbetrug, den wir nicht hinnehmen werden.“ Aber Adenauer war nicht stark genug, und der Widerstand der SED war Wasser auf die Mühlen der Hauptstadtfreunde. „Die Verlegung der Hauptstadt nach Berlin ist nicht Anerkennung (der Sowjetzone, Anm. d. Red.), sondern ein Protest gegen die Teilung Deutschlands“, schrieb Bucerius. Die Oppositionsparteien SPD, FDP und BHE legten dem Bundestag einen Hauptstadtantrag vor. Die Frage mußte parlamentarisch behandelt werden. Mit Spannung wurde die Sitzung am 7. Februar 1957 erwartet, und die nach fünfstündiger Diskussion erfolgende Abstimmung war ein überwältigender Sieg: „Berlin ist Hauptstadt“, beschloß der Bundestag mit vier CSU-Gegenstimmen. Beschlossen wurde der unverzügliche Bau eines Parlamentsgebäudes, der Umzug von Bundesministerien und Dienststellen sowie der Stopp aller Neubaupläne in Bonn.
Doch das sowjetische Ultimatum von 1958 zerschlug alle großen Pläne, der Mauerbau zementierte die Teilung.
Anita Kugler
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