: Stasi-Auflösung mit Hintertürchen
Ganze zwei Abteilungen des ehemaligen DDR-Geheimdienstes sind bislang von der Bildfläche verschwunden / Wo Leiter und Mitarbeiter der früheren „Hauptverwaltung Aufklärung“ stecken, ist unbekannt / Neue Nachrichtendienste aus der Konkursmasse? ■ Von David Crawford
Berlin (taz) - Die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes (Stasi) der DDR soll bis zum 28. Februar vollzogen sein, ein Datum, das sich seit Mitte Dezember fast täglich geändert hat. Von den 32 Abteilungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sind bislang nur zwei völlig aufgelöst worden: Die Abteilung X, die „Verbindungsstelle zu den Geheimdiensten der sozialistischen Bruderländer“, und die Abteilung XX, zuständig für die „Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion (PID) und politischer Untergrund-Tätigkeit ( PuT)“.
Generalmajor Heinz Engelhard, der Konkursverwalter des Stasi, ist nun dabei, sich die Hauptabteilung PS - Personen und Objektschutz - vorzuknöpfen. Hand in Hand mit den ehemaligen Abteilungsleitern organisiert Engelhards Stab die Auflösung der Abteilung. Mitglieder des Berliner Bürgerkomitees sind nach der Besetzung am 15. Januar zunächst von Stasi-Mitarbeitern ausgelacht worden, als sie mit ihrer Forderung nach Auflösung ankamen. Heute ist keine der früheren MfS-Abteilungen im Hauptquartier in der Normannenstraße mehr „arbeitsfähig“.
Ursprünglich war vorgesehen, daß die Auflösung vom „Bürgerkomitee in Zusammenarbeit mit den Regierungsbeauftragten“ durchgeführt wird. Aber das ist schwierig, denn die Regierungsbeauftragten werden immer wieder ausgetauscht. „Wenn neue Leute von der Regierung geschickt werden, versuchen sie meistens drei bis sieben Tage lang, die Auflösung zu blockieren. Aber nach einer Woche sind sie meistens einfach Mitglieder des Bürgerkomitees. Dann werden sie ersetzt. Wir haben ständig mit neuen Leuten zu tun,“ so ein Komitee-Mitglied.
Hat also der Stasi seiner Auflösung zugestimmt? Oder wurde er als geheimer Nachrichtendienst anderswo reorganisiert? Und sollte das der Fall sein, wem untersteht er? Engelhard zufolge ist der Stasi nicht funktionsfähig. Das Ministerium für Staatssicherheit habe seine Einrichtungen - Gebäude, technische Ausrüstung - verloren. Dem stimmen auch Mitglieder des Bürgerkomitees zu, und wenn es eine geheime „Befehlszentrale“ gibt, dann haben sie sie nicht entdeckt.
Die Zentrale bleibt dunkel
Und doch ist es für einen geheimen Nachrichtendienst möglich, sich in der DDR neu zu etablieren. Die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), der Auslandsdienst des MfS, wurde am 15. Januar vom Bürgerkomitee aufgefordert, das Hauptquartier in der Normannenstraße zu räumen. Der Dienst unter Leitung von Generalleutnant Werner Großmann kam der Aufforderung nach, still und leise. In der Hauptverwaltung Aufklärung brennen keine Lichter mehr. Wo die Mitarbeiter jetzt stecken, weiß kein Mensch.
Ein zweiter Nachrichtendienst der DDR arbeitet nach wie vor. Die Verwaltung Aufklärung (VA) der Nationalen Volksarmee (NVA) hat ihr Hauptquartier in Berlin-Schönweide. Auf dem Türschild steht „Mathematisch-Physikalisches Institut der NVA“. Sein Direktor ist Generalleutnant Alfred Krause. Die VA unterhält auch Büros in Schwerin, Magdeburg, Leipzig und Karl-Marx-Stadt. Die Orte wurden nach der Nähe zu den Einrichtungen des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU ausgewählt. Die VA stand bislang ganz im Schatten der HVA und des MfS und hatte nur einen begrenzten Aktionsrahmen im Bereich der militärischen Aufklärung. Mit der Schwächung des MfS wird die VA sicher ihre Aktivitäten ausdehnen.
Geheimbeschluß
Die Frage, wer den Stasi leitet, ist dabei offen. General Engelhard kam nach Ost-Berlin, um dort einen „Verfassungsschutz“ zu leiten, doch sein Mandat wurde am 15. Januar in das eines Konkursverwalters umdefiniert. Da Engelhard in der Tat die Auflösung des Apparats organisiert, muß die Kommandostruktur an anderer Stelle angesiedelt sein.
Ein geheimer „Beschluß für weitere Maßnahmen zur Auflösung des ehemaligen AfNS“, also der kurzlebigen Stasi -Nachfolgeorganisation, der die Unterschrift von Ministerpräsident Hans Modrow trägt, betrifft die Einzelheiten der Auflösung. Dem Beschluß zufolge wurde ein zentrales Staatsorgan, ein „Komitee zur Auflösung des ehemaligen AfNS“, als juristische Person etabliert. Die Finanzierung erfolgt über den Staatshaushalt. Als Leiter wurde Günther Eichhorn eingesetzt, der bisher dem Arbeitsstab zur Auflösung des AfNS vorstand.
Aber das Komitee hat nicht das letzte Wort. Es ist den „Regierungsbeauftragten“ oder dem „Dreierkomitee“ verantwortlich. Mitglied dieses Gremiums ist Generaloberst Fritz Peter, der früher in der Zivilverteidigung des Innenministeriums tätig war. Keine wichtige Entscheidung in der Normannenstraße fällt ohne seine Zustimmung. Der Beschluß vom 8. Februar nennt als Mitarbeiter Peters Dr. Georg Böhm und Werner Fischer als Vertreter des Runden Tisches. „Beratend ohne Stimmteil“ ist Bischof Gottfried Fork duch seinen ständigen Vertreter, Oberkonsistorialrat Ulrich Schröter.
Dem neunseitigen Beschluß zufolge ist jeder, der in der Normannenstraße tätig ist, mit der Auflösung des Stasi befaßt. Es ist wenig wahrscheinlich, daß dort noch nachrichtendienstliche Aktivitäten betrieben werden. Doch es muß eine zweite Befehlszentrale geben, denn General Großmann ist verschwunen, zusammen mit der von ihm geleiteten Hauptverwaltung Aufklärung. Eine möglicher Sitz Großmanns könnte die zentralen Chiffrierstelle der DDR in Hoppegarten sein, eine Einrichtung, die dem „Innenministerium übergeben wurde“.
Ein neuer Geheimdienst könnte gut und gerne aus der Expansion eines alten hervorgehen. Die Hauptverwaltung für Aufklärung des ehemaligen MfS oder die Verwaltung für Aufklärung der NVA könnten hier einsteigen.
Viele Einrichtungen in der DDR sind für die Bürgerkomitees nicht zugänglich. Keine der Botschaften oder Konsulate im Ausland wurden durchforstet, obwohl sie arbeitende Geheimdienstzentralen waren. Zahlreiche Einrichtungen sind auch vom Innenministerium übernommen worden. Wie im Falle von Hoppegarten gehen ihre Aktivitäten häufig weiter.
Und dann ist da noch das „Alliierten-Problem“. Einrichtungen des sowjetischen Geheimdienstes KGB, einschließlich seiner Zentrale in Berlin-Karlshorst, und der militärische Geheimdienst GRU mit seinem Hauptquartier in Wünsdorf sind ebenfalls sakrosankt. Ein solcher Ort wäre ein perfekter Standort für einen neuen Dienst: Just die Abteilung X, die „Verbindungsstelle zu den Geheimdiensten der sozialistischen Bruderländer“ war die zweite Stasi -Abteilung, die aufgelöst wurde.
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