Kommt jetzt das Ende des Kapitalismus?

■ Wider die fatale Hoffnung auf den Zusammenbruch des Weltsystems / Eine Antwort auf Robert Kurz

Je schneller der Anschlußkonkurs der DDR wahrscheinlich wird, desto mehr weicht die anfängliche Euphorie über den Sieg des Kapitalismus einer nüchternen Betrachtung der ökonomischen Nutzen und Kosten. Die auf die bundesdeutsche Gesellschaft zurollenden Milliarden-Lasten werden als das gesehen, was sie sind: Kosten für die kapitalistische Sanierung der maroden sozialistischen Planwirtschaft. Meine Prognose, daß die Verteilung dieser Kosten schon bald harte Auseinandersetzungen provozieren wird, wird mittlerweile durch entsprechende Äußerungen Bonner Politiker und durch den Vorschlag von Bundesbank-Chef Pöhl gestützt, der gleich die Milliarden der Berlin-Hilfe kassieren will, um die DDR -Subventionen zu finanzieren.

Robert Kurz geht jetzt in seinem Beitrag noch weiter. Gefährdet sei nicht allein die politische Stabilität der Bundesrepublik, sondern gleich der Bestand des kapitalistischen Weltsystems. Sollte also der alte Traum der Leninisten ausgerechnet in der Phase des völligen Zerfalls des sozialistischen Blocks doch noch wahr werden, daß der Kapitalismus an seinem systemischen Widerpart Sozialismus zugrunde geht?

So richtig mir die von Robert Kurz formulierte analytische Perspektive zu sein scheint, wonach die ökonomischen Auswirkungen des Zusammenbruchs der Volkswirtschaften des realsozialistischen Blocks nur in einer Perspektive des kapitalistischen Weltsystems angemessen gewürdigt werden können, so fatalistisch und vor allem kurzschlüssig erscheinen mir die von ihm aufgezeichneten Entwicklungslinien. Zwei Argumente werden entwickelt.

Erstens: Der weltökonomische Prozeß der achtziger Jahre konnte nur durch einen überproportionalen Anstieg des Kreditvolumens und durch das Ankurbeln der Notenpressen am Leben erhalten werden. Müssen jetzt die Kredite in die Volkswirtschaften des Ostens, insbesondere in die DDR, umgeleitet werden, wird ein crowding-out-Prozeß der Länder des westlichen und südlichen Kapitalismus eingeleitet, und es kommt zu einem steilen Anstieg der internationalen Zinssätze. Eine tiefe Depression wäre die unausweichliche Folge.

Dieses Argument ist auch dann wenig einleuchtend, wenn unterstellt wird, daß zukünftig großer Kreditströme in diese Region der Weltwirtschaft fließen. Die Länder der Dritten Welt sind bereits seit einigen Jahren dank ihrer nicht lösbaren Schuldenprobleme einer Kreditrationierung seitens der privaten Banken ausgesetzt. Da die Banken ihre Forderungen in hohem Maße wertberichtigt haben, würde ihnen auch im Falle eines zinssteigerungsbedingten Zahlungsboykotts dieser Länder keine Bestandsgefährdung drohen. Die auf internationale Zahlungsbilanzkredite angewiesenen westlichen Industrieländer wiederum werden im Kreditwettlauf relativ gute Karten besitzen, weil sie eher als die am Boden liegenden Ökonomien des ex-sozialistischen Blocks höhere Zinsbelastungen verkraften können. Im übrigen ist zu erwarten, daß die privaten Banken solide westliche Schuldner den risikobehafteten östlichen Schuldner vorziehen werden. Auch wenn empirische Hinweise keine Beweise sind, sollte berücksichtigt werden, daß das kapitalistische Weltsystem Anfang der achtziger Jahre selbst unter wesentlich ungünstigeren Rahmenbedingungen Marktzinssätze von zwanzig Prozent zu verkraften wußte.

Zweitens: Die Einführung der D-Mark in die DDR würde bedeuten, daß die Bundesbank die Kontrolle über „ihr“ Geld verlöre und angesichts der so gewachsenen kaufkräftigen Nachfrage mit einem nicht kontrollierbaren inflatorischen Prozeß konfrontiert wäre. Keine Frage: Die Gefahr eines Preisanstiegs ist, wie von mir bereits ausgeführt, nicht von der Hand zu weisen. Aber von einer „gigantisch ansteigenden Geldmenge“ zu sprechen, scheint entweder reichlich naiv oder zeugt von wenig Wissen um die geldpolitischen Möglichkeiten der Bundesbank.

Jedem Laien auf der Straße ist klar, daß im Falle des berühmten Falles allein Löhne, Betriebskosten und Transferleistungen in D-Mark ausbezahlt würden. Die Sparguthaben der DDR-Bürger werden mit Sicherheit nur allmählich und dann wahrscheinlich mit einem Abschlag auf D -Mark umgestellt werden. Angesichts des niedrigen Lohnniveaus bei gleichzeitiger Einführung des BRD -Preisniveaus wird sich deshalb auf absehbare Zeit kein Kaufboom seitens der zukünftigen Neubürger einstellen. Der theoretisch sowieso fragwürdige Geldmengen-Preis-Mechanismus wird das Kurzsche Zusammenbruch-Szenario nicht in Bewegung setzen.

Fazit: Kurz unterschätzt in schlechter orthodox -marxistischer Manier die ökonomischen wie politischen Flexibilitätsleistungen des modernen Kapitalismus. Vor allem politisch ist dies fatal, wird so doch der bewußt Zuversicht verbreitenden marktwirtschaftlichen Propaganda der Kapitalseite eine ebenso wenig analytisch begründete Finalkrise des Kapitalismus entgegengesetzt. Scheingefechte sind aber in der derzeitigen Situation wenig nützlich.

Kurt Hübner