: Japans käufliche und erbliche Demokratie
Zum Wahlkampfauftakt der Regierungspartei LDP spricht Ministerpräsident Kaifu vor tausend Anhängern im Tokioter Zentrum von Shibuya. Die ihm zuhören, sind Männer im Büroanzug. Daran ist nichts Auffälliges, von denen gibt es in Tokio viele. Sie halten eine numerierte Karte in der Hand, auf der geschrieben steht: „Für Freiheit und Demokratie“. Nach der Veranstaltung stellen sich die Männer an, um an einem LDP-Wahlkampfbus die Karten abzugeben. Dann verlassen sie schleunigst den Ort. Noch am gleichen Tag berichten Fernsehen und Abendzeitungen, daß Ministerpräsident Kaifu seine erste öffentliche Wahlrede vor zalreichen Zuschauern gehalten hat.
Eine glatte Lüge. Die Männer in den Büroanzügen waren bestellt. Die ersten hundert Karten gingen vom städtischen LDP-Hauptquartier an die Automobilfirma Isuzu, die nächsten jeweils an Suzuki, Nissan und Honda. An einige Elektrofirmen der Hauptstadt schickte die LDP ebenfalls Kaifu-Karten. Zum Nachweis ihrer Folgsamkeit gaben die Gekommenen ihre Karten wieder bei der LDP ab. So weiß die Partei genau, wie zuverlässig ihr die Firmen dienen.
Japans Demokratie ist käuflich, und die LDP hat Macht und Geld. Wie die LDP ihre Stimmen kauft, beschreibt ein Gewerkschafter, der in einer großen Automobilfirma in Osaka arbeitet:
„Unser Unternehmen hat einen 3-Stufen-Plan für die Unterstützung der LDP-Kandidaten aufgestellt. Je nachdem, wie gut der Kandidat im Rennen liegt, entscheidet unsere Zentrale in Tokio, welche Stufen des Planes angewandt werden. Auf der ersten Stufe muß unsere Firma dem Kandidaten Wahlhelfer stellen. Auf der zweiten Stufe werden Angestellte für die Wahlveranstaltungen organisiert. Auf der dritten schließlich versuchen höhere Firmenangestellte direkt, ihre Untergebenen zur Wahl des LDP-Kandidaten zu überreden. Bei uns in Osaka sind sie bis zur Stufe 3 gegangen. Die Firma übergab dem LDP-Wahlkampfbüro eine Liste unserer Angestellten. Alle wurden angerufen und befragt, ob sie für die LDP stimmen werden. Diejenigen, die sich unklar ausdrückten, wurden anschließend in der Firma von ihren Vorgesetzten zur Rede gestellt. Dagegen haben sich dann die Gewerkschaften gewehrt, weil es bei uns eigentlich ein ungeschriebenes Gesetz gibt, daß die einfachen Angestellten auch die Opposition wählen dürfen. Doch die Arbeitgeber antworteten, daß sie diesmal besonders hohe Schulden zu begleichen hätten.„
Von „hohen Schulden“ zu sprechen, ist höflich gemeint. „Unkooperative Kriegsverbrecher“ schimpfte die LDP ihre heimische Autoindustrie nach ihrer Schlappe bei den Oberhauswahlen im vergangenen Juli. LDP-Generalsekretär Ozawa machte gleich Nippons ganze Unternehmerschaft für den Mißerfolg der Partei verantwortlich. Die hätte nicht genug gezahlt, um das bewährte System zu bewahren. Im besonderen zielte Ozawa freilich auf die Auto- und Elektroindustrie, die beide 1989 von einer LDP-Steuerreform profitiert hatten.
Ozawas Schelte und der tatsächlich drohende Machtverlust der LDP setzten Japans Unternehmerschaft in schnellere Bewegung als je zuvor. Die ungeheure Summe von über 30 Milliarden Yen (ca. 400 Millionen DM) verlangte die LDP für diesen Wahlkampf von der Unternehmerschaft - und bekam sie. Soviel läßt sich nach den bisher zugänglichen Informationen bereits sagen.
Nach Berichten der Tokioter Tageszeitung 'Asahi‘ zahlten sieben große Elektrounternehmen allein je 10 Millionen DM. Banken kamen für ca. 40 Millionen DM auf, mindestens 100 Millionen DM kommen von der Autoindustrie. Den Rest sammeln die Unternehmerverbände, allen voran der mächtige „Keidanren“.
Die japanischen Gesetze zur Parteienfinanzierung werden damit gleich auf zweierlei Art gebrochen. Zum einen dürfen Unternehmen nicht mehr als 1,2 Millionen DM pro Jahr direkt an Parteien spenden. Zum anderen ist die Höchstsumme des Spendenaufkommens einer Partei im Jahr auf 150 Millionen DM festgelegt. Freilich gibt es zwischen den Unternehmen und der LDP zahlreiche Wege, diesen Beschränkungen mit diversen buchhalterischen Tricks zu entkommen. Dennoch schließen politische Beobachter in Tokio derzeit nicht aus, daß die überhastig und maßlos organisierte LDP-Kampagne nach den Wahlen am Sonntag einen „zweiten Recruit-Cosmos-Skandal“ heraufbeschwören kann.
LDP-Generalsekretär Ozawa ist natürlich anderer Meinung: „Die Gewerkschaften unterstützen die Sozialisten. Da ist es doch normal, daß die Unternehmer die LDP unterstützen. Wir brauchen nichts verheimlichen.“ Die Gelegenheit einer Pressekonferenz zum Thema nutzte Ozawa in dieser Woche, um die Unternehmerschaft zu noch mehr Großzügigkeit aufzufordern. Überraschend war nur, daß die Antwort von Arbeitgeberpräsident Saito noch am gleichen Tag kam: „Diesmal unterstützen wir die LDP mehr als je zuvor. Noch mehr können wir nicht.“
Tatsächlich gibt es seit geraumer Zeit Stimmen in der japanischen Unternehmerschaft, die Zweifel anmelden, wie weit es noch im eigenen Interesse liegt, das korrupte LDP -System zu finanzieren. „Die historische Aufgabe der großen konservativen Koalition von 1955 (dem Gründungsjahr der LDP; d.Red.) ist erfüllt“, konstatierte Saitos Stellvertreter, Keidanren-Vizepräsident Nagayama, im Herbst. „Ist es heute nicht besser, wenn zwei Parteien konkurrieren? Ich bin der Auffassung, Japan muß zurück zum Zwei-Parteien-System.“
Fuji-Xerox-Chef Kobayashi, Vorstandsmitglied von Nippons zweitgrößtem Arbeitgeberverband „Keizaidoyukai“ pflichtete Nagayama in der Öffentlichkeit bei: „Wir befinden uns in einer neuen politischen Phase. Wie wäre es mit einer sozialistischen Regierung? Man muß dem Volk mehrere Möglichkeiten zeigen.“ Die Verstimmung in den führenden Arbeitgeberkreisen vor der Wahl am Sonntag ist nicht mehr zu verkennen. Man fürchtet, in ein Faß ohne Boden zu investieren. Doch kann die LDP sich wehren.
Ozawas neue Geldbeschaffungsstrategie liegt darin, sich nicht mehr ausschließlich an die Arbeitgeberverbände zu wenden, wie das seit 1961 informell zwischen Partei und Unternehmen vereinbart ist. Ozawa spricht wieder direkt bei den Unternehmen vor. „Ozawa rief uns im November an. Er sagte, man befinde sich in einem Ausnahmezustand und die Firma müsse kooperieren. Wenige Tage später kam ein junger Abgeordneter aus der LDP-Fraktion von Ozawa zu uns und verlangte 500 Millionen Yen.“ So erzählt der Manager einer großen japanischen Firma dem 'Asahi-Journal‘.
Anders als die Arbeitgeberverbände sind die einzelnen Unternehmen bei ihren Auftragsverhandlungen mit den Ministerien direkt auf die LDP-Unterstützung angewiesen. Seit jeher zahlt die LDP hohe Summen an leitende Ministerialbeamte oder verschafft ihnen günstige Positionen auf den eigenen Kandidatenlisten für das Parlament, um über den Einfluß der Bürokratie die Unternehmen gefügig zu machen. „Wenn wir nicht zahlen, zahlt die Konkurrenz“, kommentiert ein Tokioter Unternehmer die LDP-Spendengier und fügt dem ein japanisches Sprichwort bei: „Wo das Wasser allzu sauber ist, leben keine Fische.“ Ein anderer meint: „Als Kaifu seine Rede in Shibuya hielt, wurden wir nicht angefragt. Da bekamen wir Angst.“
Wem das Geld der Partei in Japan nicht reicht, um Abgeordneter zu bleiben, der hat noch eine zweite Chance: Er tritt das demokratische Erbe an. Von insgesamt 325 LDP -Kandidaten bei dieser Wahl treten 131 die Nachfolge ihres Vaters oder Großvaters an. Umfragen sagen, daß morgen 109 dieser Polit-Erben sicher gewählt werden. Sie haben den Vorteil, sowohl die Wahlhelferschaft und die noch der Familie verbundenen Stammwähler als auch die politischen Kontakte in der Hauptstadt von ihrem Vorgänger zu übernehmen. Weil die LDP auf stolze familiäre Verbindungen, u.a. mit dem alten japanischen Adel, zurückblicken kann, ist es fast ausschließlich sie, die Erbschaftskandidaten stellt.
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