DIE SCHÖNHEITSFEHLER DER DIALEKTIK

■ „Der Auftrag - Erinnerung an eine Revolution“ von Heiner Müller in der Schillertheater-Werkstatt

Stets winken die buntbemalten Wilden in der Schillertheater -Werkstatt lustig, tanzen und springen zu Pfeifen und Trommeln vom Band, hüftschwingend, arschwackelnd, stampfend. Leicht geschürzt die Frauen, funkelnden Auges die Männer. Bisweilen dürfen sie auch gutturale Urlaute von sich geben es sei denn, die Weißen sprechen gerade, dann sind sie natürlich ruhig. Denn schließlich hat es der weiße Mann wichtig-wichtig, er ist ja gekommen, den Negern sein Glück zu bringen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Und da der entsprechend dieser Trias dreifach ausgeführte Befreier obwohl ohnehin schon jeweils als inkarnierter Begriff angelegt - selbst gar nicht so genau weiß, was die eigentlich sind, muß er über diese Begriffe viel daherschwadronieren.

Und da das womöglich die Untensitzenden schnell einschläfern könnte, muß halt der Neger auf die Bühne, der ja schon immer ziemlich sinnlich war, quasi per defintionem auch immer schon für Farbe sorgt und das Theatralische wiederum gewissermaßen im Blut hat.

Angeblich geht es in Heiner Müllers (und man vergißt es leider immer wieder: er ist wohl wirklich der am meisten überschätzte deutschsprachige Autor) 1979 entstandenem deutschen Dünn-Dramolett „Der Auftrag - Erinnerung an eine Revolution“ um „das Motiv des Verrats“, um „die Menschheit als Kollektiv“, um „das Individuum“ in ebendemselben. Zwecks dramatischer Ventilierung dieser Hochproblematiken reisen drei Emissäre des französischen Konvents (nämlich die erwähnten Begriffsträger: Herr Freiheit, Herr Gleichheit und Herr Brüderlichkeit) in die britische Kolonie Jamaica, um dort einen Sklavenaufstand anzuzetteln (Auftrag!), woraus allerdings nichts wird, erstens weil daheim inzwischen Napoleon Kaiser geworden ist und zweitens weil die Herren sich wie gesagt so furchtbar schwertun mit der Definition ihrer selbst und Heiner Müller die Sprechzeit damit vertut, Metaphern für die Revolution an den Schamhaaren herbeizuziehen. Aber immerhin vernimmt die Zuhörerin bei dieser Gelegenheit, daß die „Revolution eine Hure“ ist, eine „Schlange mit blutsaugender Scham“, während die „Geborgenheit der Sklaverei“ als „ewige Mutter“ daherkommt und das Gefängnis als „Schoß der Familie“, und die solchermaßen Frischaufgeklärte versteht ihrerseits endlich, daß Revolution gleich männliche sexuelle Obsession ist und es deshalb kein Wunder ist, daß Frauen sich bis zum heutigen Tag an solchen Männermassenpsychosen nur mäßig beteiligen.

Wie sollten etwa auch eventuelle Revolutionärinnen durch dieses Bühnenbild in der Schillertheater-Werkstatt gehen, wie auftreten und abgehen durch diese riesige von innen beleuchtbare rote Möse? Welche Rolle sollten sie spielen in dieser deutsch-deutschen Peep-Show, in der der in der DDR lebende chilenische Regisseur Carlos Medina einen der Revolutionäre in den überdimensionierten Brautrock der namenlosen barbusigen „Ersten Liebe“ kriechen läßt - wohin sollte da die Revolutionärin entsprechend kriechen?

Und nicht genug: Wäre sie gar schwarz, wie sollte sie schönreden über einen Aufstand derer, die sie stumm, tanzend und dumm als lebenden Kulissenschmuck braucht, um irgendein verwöhntes Publikum überhaupt auf sich aufmerksam zu machen? Welche Statisten sollte der auf karibische Buntheit bedachte weiße Regisseur um die schwarze Revolutionärin herum drapieren? (Nicht umsonst wird der eigentlich schwarze Revolutionär Sasportas von einem Weißen gespielt.) Welche zu befreienden Objekte würde der weiße deutsche Dichter ihr zudenken? Nein, diese Revolution scheitert nicht am Verrat oder daran, daß irgendwelche Napoleons die Herrschaft an sich reißen, sie scheitert offenbar daran, daß nicht jede(r) jede Rolle darin spielen kann, daß ihre Spielregeln keinerlei universale Gültigkeit für alle Beteiligten haben und diese so selbst Instrument der Selektion und der Unterdrückung werden können: Dies zumindest führt dieser Abend ästhetisch vor - wenn auch wohl wider Willen.

So ist diese eigentlich doch nur solide und halbwegs unterhaltsam sein wollende Aufführung eines ansonsten einfach ziemlich schlappen Dings ein Lehrstück in revolutionärem Rassismus und Sexismus und von daher eben doch wieder unbedingt sehenswert.

Und dennoch: Es wird Kritiker geben, die die Kunst des vom Berliner Ensemble ausgeliehenen großen Ekkehard Schall rühmen werden und die den übrigen den hohen Hohe -schauspielerische-Leistungs-Schein ausstellen werden, aber vor allem wird es garantiert genügend sogenannte Aufrechte geben, klassische Mitdenker eben, die sich anläßlich dieser Aufführung wieder einmal der beliebten Gedankenspiele um Revolution-Moral-Individuum-Kollektiv-Diktatur-Geschichte

-etc-blabla - den Hauptwidersprüchen also - wehmütig widmen werden. Der Rest sind schließlich Nebenwidersprüche, Fragen der Ästhetik, Schönheitsfehler allenfalls.

Gabriele Riedle

Regie: Carlos Medina; Bühne und Kostüme: Volker Pfüller; Debuisson: Gerd Preusche; Galloudec: Peter Gavajda; Sasportas: Karl Kranzkowski; Mann im Fahrstuhl: Ekkehard Schall.