: Das lange, lange Sterben der SEW
■ SEW-Sonderparteitag: Auflösen, Aufschieben - oder Weitermachen?
Auflösen oder Weitermachen? Darüber diskutierten gestern stundenlang die GenossInnen der Westberliner K-Partei SEW. Und kamen bis Redaktionssschluß zu keinem Ergebnis. „Was ich heute so alles über die Parteifinanzen und -machenschaften höre, das hätte ich vor zwei Monaten noch für eine Verleumdung des Klassenfeindes gehalten.“ Der, der sich gestern auf dem außerordentlichen Parteitag der SEW so fassungslos äußert, ist Büromitglied des Parteivorstandes und hätte es eigentlich wissen müssen. Vielleicht wollte es der Genosse Ernst aber auch gar nicht wissen, denn der „demokratische Zentralismus“, die Partei hat immer recht und besonders ihre Führung, funktionierte ja.
Seit letzten Herbst kriselte es beim „bewußtesten Teil der Arbeiterklasse“, am Wochenende traten der Vorsitzende Dietmar Ahrens und seine Stellvertreterin Inge Kopp nun endgültig von allen Ämtern zurück und aus der Partei aus. Ihre letzte politische Initiative war, den Mitgliedern zu empfehlen, die Partei aufzulösen.
Den meisten der rund 900 Delegierten war diese Empfehlung zu schnell erfolgt. Im Verlauf der fast dreitägigen Diskussion gab es zwar einen Konsens, die „wissenschaftlich begründete Weltauffassung“ zu überdenken, marxistische Programme ideologisch zu entrümpeln und „stalinistische“ Strukturen zu zerschlagen, aber ob eine Erneuerung innerhalb der Partei oder nur außerhalb, in neu zu findenden Zirkeln, möglich ist, darüber konnte keine Einigkeit hergestellt werden. Am radikalsten für eine ersatzlose „Selbstauflösung“ fochten Vertreterinnen des Frauenplenums, eine „feministische Politik ist mit dieser Partei nicht möglich“. Andere Delegierte wiederum bezeichneten eine Auflösung als „Schandtat für die Entwicklung der Arbeiterklasse...
Die stundenlange Geschäftsordnungsdebatte hinterließ deutlich den Eindruck, daß die Delegierten über den Weg von Verfahrensfragen, Mitgliederurabstimmung etc. eine Entscheidung über das endgültige Aus auf den Herbst vertagen wollten - damit dann eine Auflösung vielleicht durch eine neue KPD oder SED-PDS-SEW in einem wiedervereinigten Deutschland überflüssig werde. Auch eine „Jein„-Variante schien bis Redaktionsschluß denkbar, die „Vorhut„-Partei löst sich auf, die „Nachhut“ bleibt in Form von Bezirks- und Fachgruppen diskussionsfreudig tätig. Aber wie auch immer die Zukunft kommunistischer Politik aussehen wird, Geld für einen Neuanfang hat die Partei nicht mehr, zumindestens keines aus dem Osten. Wie das finanzielle Desaster, das die SEW hinterlassen hat, bereinigt werden kann, weiß niemand. Fest steht aber: den Letzten beißen die Hunde. Die Letzten sind die gekündigten Hauptamtlichen des „Druckhauses Norden“, die Redakteure der im „Verlag Zeitungsdienst GmbH“ erschienen 'Neuen Zeitung‘ und die Mitarbeiter des „Euro -Buches“. (Die taz berichtete).
ak
Siehe auch Interviews auf S. 26
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