„Kongkong? Ungarisch? Haremsdame?“

■ Begegnung der wundersamen Art mit einer einzigartigen Bremer Kostümberaterin

„Guten Tag, guten Tag“, sagt Lucy Nagel in einer Art konfus beschäftigten Liebenswürdigkeit, „haben Sie schon ein Thema?“ Lucy Nagel ist Kostümberaterin, und Thema heißt in diesem Fall: Wissen Sie schon, wer Sie sein möchten? Nein. Das ist Lucy recht. Menschen mit Themen brauchen keine Beratung. Also bin ich beratbar, und das tut sie für ihr Leben gern und mindestens auch schon halb so lange, jedenfalls seit sie mit ihrem Mann aus Wuppertal nach Bremen kam, jetzt ist er schon lange tot, Gott hab ihn selig, ihr Alter sagt sie aber nicht, vielleicht irgendwo zwischen 70 und 80.

Lucy Nagel geht „mal vor“, das ist gut. Da trifft einen der Schlag kontrollierter. Die Anzahl Kostüme in dem kleinen Kostümverleih drei Stüfchen unterhalb der Uhlandstraße muß in die Tausende gehen. In etwa drei Räumen biegen sich die Bügel bis unter die Decken: in zweistöckigen offe

nen Schränken, an runden Kleiderständern, an langen Kleiderständern, blickdicht nebeneinander gehängte Flitterträume, die schon Generationen von KarnevalistInnen in dieser Stadt zum Vor- oder Nachteil verändert haben müssen.

Lucy erreicht die Ständer zuerst, klärt über die Modalitäten auf: „35-40 DM pro Kostüm“, registriert dann mit Genugtuung völlige Hilflosigkeit ihrer Klientin und faßt wie ins Blaue an ein glänzendes Ding mit Fransen oben und unten, das ist das Thema Charleston. Seh‘ ich so aus? Wovon geht sie aus beim Beraten? „Och, wissen sie, ich kuck auf die Figur. Da gibt es manchmal Typen! Hach, tschuldigung, nich Typen, also da gibt's manchmal welche, die wissen nu gar nich, was paßt!“ Männerturnvereine zum Beispiel, oder stärkere Frauen. Problemfälle! Problemfälle! Oder Kinder: „Was soll ich ihnen sagen, die Muttis wollen

lauter Prinzessinnen.“ Dabei wären die Kleinen „lieber Punker“, Punker mit u, ist aber sowieso nicht vorrätig. Wo sie doch sonst mit fast jedem Thema zwischen Himmel und Erde dienen kann: Fast ist sie noch empört über den jungen Mann neulich, der unbedingt Pilot werden wollte, obwohl sie viel lieber einen wunderbaren Landsknecht aus ihm gemacht hätte.

Wie orientiert sie sich eigentlich in dieser Fülle!? „Das will ich ihnen gern glauben, Fülle, ja, das ist hier eine Fülle.“ Das Wort Fülle gefällt ihr, als würde sie dadurch noch ein bißchen unentbehrlicher. Weil plötzlich aber viele Leute in den Verleih stürmen, wittert Lucy Nagel Beratungsluft und wird ganz unruhig, was muß ich aber auch dauernd fragen? Was antwortet sie aber auch zu gerne! Trotzdem tauchen ihre weißen kleinen Kringellöckchen jetzt entenartig zwischen den Kleiderständern unter- und wieder auf, und gleich werden Unentschlossene in Landsknechts outfit verlegen an mir vorüberhuschen zum einzigen Spiegel.

Ich stehe ochsenartig vor dem Kleiderberg, bis sie sich wieder erinnert. Also, das erkennt sie nun doch: Dem Frollein - „Zu mir sagense auch alle Frollein, finn'se Frau nich komisch: Frau, komm'se ma her?“ - muß geholfen werden. Vielleicht mit einem

Burgfrollein? Sie hebt aus einem Kleiderwust einen Ärmel heraus, der zu der Zeit rosa war, als Burgfrolleins noch auf Burgen getanzt haben. Jedenfalls mit Schlabbervolants und vorwitziger Spitze. Ach nein danke. „Wie wär's mit Haremsdame?“ Oha. „Müssen sich bissel was trauen, nich? Sag ich immer.“ Dann vielleicht „Kongkong?“ (Cancan, „wird gern jenommen“), „ungarisch?“

„Tollero?“ „Katze?“

Wie würde sie sich denn kostümieren? „Och, bissel was Schickes, nich, was was hergibt! Aber nich ausjefallen.“ Jetzt muß sie doch kichern. Weil sie sich ja doch nicht kostümiert, höchstens mal nachts „lauter Kostüme sieht“. Weiß sie als Expertin denn nun, warum sich die Leute kostümieren? „Warum nich? “ Claudia Kohlhas