piwik no script img

„Der Innensenator muß endlich Farbe bekennen“

■ Familiensenatorin Anne Klein fordert im KiTa-Konflikt vom Senat den ersten Schritt zu Tarifverhandlungen mit den Streikenden

taz: Frau Klein, Sie haben vergangene Woche zusammen mit Umweltsenatorin Michaele Schreyer und Schulsenatorin Sibylle Volkholz einen Vorstoß in Richtung Gewerkschaften gewagt. Gibt es einen Kompromiß, ist der KiTa-Streik bald zu Ende?

Anne Klein: Ja, sicherlich gibt es einen Kompromiß. GEW und ÖTV fordern einerseits materielle Verbesserungen in den KiTas und andererseits, daß die Situation der Erzieherinnen und Erzieher abgesichert wird. Und zwar so, daß nicht dieser oder ein anderer Senat die Verbesserungen wieder zurücknehmen kann.

Also auf jeden Fall einen Tarifvertrag.

Darum geht's. In den letzten Wochen habe ich mehrfach Vorschläge gemacht, wie eine Einigung aussehen kann, und sie dem Senat vorgelegt. Eine solche Möglichkeit ist, daß das Verhältnis der individuellen Arbeitsleistung und Arbeitszeit zusammen mit der Zeit geregelt wird, die ohne Kinder verbracht wird, wie Vor- und Nachbereitungszeit, Elternabende und Dienstbesprechungen.

Die Senatsseite argumentiert gegen einen Tarifvertrag mit Personalschlüssel bisher, daß dieser Vertrag ein Eingriff ins Budgetrecht des Abgeordnetenhauses wäre. Ist die Festlegung der „individuellen Arbeitsleistung“ kein solcher Eingriff?

Auf das Budgetrecht wird immer Einfluß genommen, wenn es irgendeine vertragliche Regelung gibt. Das gilt für jeden Tarifvertrag, auch für einen, in dem nur die Höhe der Entlohnung festgelegt wird. Die Gewerkschaften haben das als Problem erkannt und sind bereit, dem Senat ein Letztentscheidungsrecht einzuräumen. Sie wollen aber, daß dann der Senat verpflichtet ist, zu verhandeln.

Letztentscheidungsrecht hin oder her. Ist die Personalausstattung erst einmal tariflich vereinbart, darf sie bei jeder Veränderung bestreikt werden - was ja jetzt nicht der Fall ist. Dann ist der gewerkschaftliche Einfluß auf den Staatshaushalt doch größer als bisher?

Daß die Gewerkschaften streiken können, sehen wir im Moment. Die Rechtslage ist hierfür unerheblich. Die ErzieherInnen haben dann die Möglichkeit zu streiken, wenn sie breit unterstützt werden. An diesem Punkt hat es damit zu tun, daß erstens die Forderungen nach Verbesserungen in den KiTas berechtigt sind. Zweitens ist ein riesengroßer Frauenstreik in dieser Stadt im Gange. Die Frauen in den sozialen Berufen spüren, daß sie über eine gewaltige Kampfkraft verfügen. Für einen Frauenberuf ist der Organisationsgrad schlicht einmalig. Wir werden uns im Senat darüber Gedanken machen müssen, wie wir den Forderungen entgegenkommen. Ich glaube nicht, daß der Einfluß der Gewerkschaften auf den Staatshaushalt zunimmt. Die Möglichkeit zu streiken, haben die Gewerkschaften immer.

Dann reichen doch auch die längst angebotenen Senatsversprechen. Wenn er sie bricht, wird eben gestreikt. Warum wollen die Gewerkschaften da noch einen Tarifvertrag?

Für mich ist klar: Bei zwanzig Jahren Erfahrung mit Verschlechterungen oder deren Versuchen wollen die Gewerkschaften und die ErzieherInnen, daß nicht eine Seite kommen und die Situation verändern kann. Sie wollen eine Festschreibung.

Das sind ja auch die Bedenken der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Die Gewerkschaften in Frankfurt und Hamburg zum Beispiel warten nur darauf, daß es in Berlin einen Tarifvertrag im KiTa-Bereich gibt. Dann „gibt es hier kein Halten mehr“, so die ÖTV Frankfurt. Spielen für Sie die Bedenken der TdL keine Rolle?

Man muß die TdL ernst nehmen. Das ist immerhin der Zusammenschluß der öffentlichen Arbeitgeber auf Länderebene. Wir glauben aber, daß wir diese Probleme nicht haben, wenn wir eine Berlin-spezifische Lösung finden - und so etwas habe ich dem Senat vorgeschlagen.

In Frankfurt sind über zehn Prozent der ErzieherInnen -Stellen unbesetzt, in Hamburg warten 10.000 Kinder auf einen KiTa-Platz. Was heißt da „Berlin-spezifische“ Lösung?

Wir haben eine ganz besondere Situation. Es gibt nirgends so viel Tagesbetreuung wie in Berlin, nirgendwo so viel Alleinerziehende - vor allem - Mütter. Es gibt nirgends einen so hohen Anteil an ausländischen Kindern, nirgends so lange Öffnungszeiten. Insgesamt ist der KiTa-Bereich in Berlin sozialpolitisch einmalig. Und in dieser einmaligen Situation gibt es eine Reihe Probleme, die es rechtfertigen, besondere Zeiten für Vor- und Nachbereitung, für Elterngespräche und so weiter zu reservieren.

Das ist doch klar, die Gewerkschaften in Westdeutschland wollen den Berliner Tarifvertrag sicher nicht wortwörtlich übernehmen. Wie wollen Sie verhindern, daß die sagen, „Berlin zeigt, daß es möglich ist, warum kriegen wir keinen Tarifvertrag“?

Sicherlich wird es darüber Diskussionen geben. Aber daß ErzieherInnen in anderen Bundesländern sagen: „Wir wollen unsere Situation tariflich festgeschrieben haben“, das läßt sich weder befördern noch verhindern. Wir können aber sagen, wir machen hier speziell etwas für unsere Situation. Die Gewerkschaften sind dazu ebenfalls bereit. Und mit denen müssen wir ernsthaft verhandeln. Das können nur Tarifverhandlungen sein. Der erste Schritt muß getan werden.

Innensenator Erich Pätzold und Bürgermeister Walter Momper sagen: Es wird keinen Tarifvertrag über Personalschlüssel und Gruppengröße geben. Heißt das, alles andere ist tariflich verhandelbar?

Dazu haben sie sich eben nicht geäußert. Nach fünf Wochen Streik muß der Innensenator jetzt endlich Farbe bekennen.

Das Interview führte Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen