: Utopie der Frauen-Selbsthilfe - und ihre Verhinderung
■ Sozialsenatsverwaltung legt ihre Vorstellungen zur Förderung von Selbsthilfeprojekten vor / Von der Idee der Selbstbestimmung der Frauenprojekte blieb nichts übrig / Frauenprojektplenum ist sauer: Frauen werden als „Randgruppe“ abgehandelt und bleiben unsichtbar
Frauenpolitik wird im rot-grünen Senat zwar großgeschrieben
-aber klein gehandelt. Nach knapp einem Jahr „Feminat“ sind die Bemühungen und Erfolge in diesem Bereich beschämend gering. Besonders „beschämend“ findet das Frauenplenum des „Arbeitskreises Staatsknete“ der Frauen- und Alternativprojekte, was ihnen da jüngst aus dem Hause von Sozial- und Gesundheitssenatorin Ingrid Stahmer auf den Tisch flatterte: die „Förderkriterien 90“ - das Senatsprogamm zur Förderung von Selbsthilfeprojekten.
Zur Vorgeschichte: Aufgrund der SPD-AL -Koalitionsvereinbarung zur Neuorientierung der Selbsthilfeförderung fanden sich vergangenen Frühsommer VertreterInnen aus mehreren Dutzend Alternativ- und Frauenprojekten zusammen, um neue Fördermodelle und Vergabekriterien für die Gelder aus dem Selbsthilfetopf des Ex-Sozialsenators Ulf Fink (CDU) zu entwerfen. Nach monatelangem Hickhack präsentierte die Runde im September 1989 ihre gemeinsamen Vorschläge. Hauptforderungen: 50 Prozent aller Mittel sollte an Frauenprojekte gehen, die Entscheidungskompetenz über die Vergabe der Selbsthilfegelder von der Senatsverwaltung auf zwei unabhängige „Förderkommissionen“ übertragen werden.
Dabei sollte eine Frauenkommission über die Mittel für Frauenprojekte entscheiden, die andere, paritätisch besetzte über die Mittel für gemischte Projekte. In diesen siebenköpfigen Kommissionen sollten jeweils vier VertreterInnen aus Projekten, drei aus anderen Bereichen sitzen. Darüber hinaus verlangten die Frauenprojekte außerdem eine neue Definition des Begriffs „Selbsthilfe“. Sie wollten in Zukunft auch freie Institutionen der Frauenbewegung gefördert wissen, „die an der Entstehung und Weiterentwicklung der Frauenkultur arbeiten.“ Soweit die Utopie, die schon damals bei Sozialsenatorin Stahmer auf wenig Zustimmung stieß. Eine abschließende Diskussion um die neuen Förderkriterien wurde von ihr auf Anfang 1990 vertagt.
Ende Januar meldete sich der Sozialsenat wieder zu Wort mit besagtem Entwurf. Dazu hat das Frauenplenum des AK Staatsknete jetzt eine geharnischte Stellungnahme verfaßt. Hauptkritikpunkte: Das Konzept unterscheidet sich im wesentlichen nicht vom Fink-Modell. Der Begriff Selbsthilfe ist politisch und inhaltlich mindestens so eng wie bei den Konservativen und beschränkt sich auf einen „Korrekturmechanismus der bestehenden Gesellschaftsstruktur“, hauptsächlich aber auf die Reintegration von „Randgruppen“. Selbsthilfe bleibt auf die freiwillige Arbeit von „Laienhelfern“ bzw. „Laienexperten“ (!) reduziert, mit deren Hilfe die Kosten im sozialen Bereich gespart werden sollen. Damit setzt das Konzept auf die traditionelle Rolle der Frau als ehrenamtliche, un- oder unterbezahlte Sozialhelferin.
Besonders sauer aber sind die AK-Frauen, daß Frauen immer noch als Randgruppe auftauchen und als letzte, hinter dem „Behindertenbereich“ und „Ausländerbereich“, in knapp zehn Zeilen abgehandelt werden. Natürlich ist im Senatskonzept auch keine Rede von einem quotierten Fördertopf oder einer Frauenförderkommission. Die einzigen Zugeständnisse an die Forderungen der Projekte wurden in Sachen Beirat gemacht.
Die Senatsverwaltung ist nun gehalten, alle Projektanträge an den neu zu besetzenden Beirat weiterzuleiten und dessen „Förderungsempfehlungen“ stärker zu berücksichtigen. Der siebenköpfige Beirat selbst soll mit mindestens 50 Prozent Frauen bzw. mehr als 50 Prozent VertreterInnen aus den Projekten besetzt werden.
Ansonsten bleiben Frauen weitgehend unsichtbar. Konsequenterweise wird darin auch nur die männliche Schreibweise benutzt. Unterschrieben hat es Jens Meisner, kommissarischer Referatsleiter für Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliche Dienste.
Wie es in dieser Form allerdings in die Öffentlichkeit gelangen konnte, diese Frage muß sich die Sozialsenatorin, die sich einst wie ihre Mitsenatorinnen als Advokatin für Fraueninteressen präsentierte, schon gefallen lassen. Mitglieder des Frauenprojekteplenums vermuten mittlerweile allerdings: „Frau Stahmer kennt wohl keine Geschlechter mehr.“
Ulrike Helwerth
Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales veranstaltet morgen ein Hearing. Ort: An der Urania 4, Raum 902, Zeit: 14.00 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen