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Die Millionenspur verliert sich in Zürich

■ Die Beschäftigten des SEW-nahen „Druckhauses Norden“ wollen den Betrieb in Eigenregie übernehmen - doch niemand weiß, wem der Laden eigentlich gehört

Eigentlich wollten die 130 gekündigten Beschäftigten des SEW -nahen „Druckhauses Norden“ den Betrieb gestern, nach Beendigung einer Betriebsversammlung, besetzen. Sie haben es dann aber doch nicht getan, um der Geschäftsführung keinen Vorwand zu liefern, die fristgerechten Kündigungen in fristlose umzuwandeln. Aber die Kollegen sind empört, „gelinkt“ worden sind sie, und das mit den „allermiesesten Tricks“. Die Belegschaft will die in Not geratene Druckerei in Eigenregie übernehmen, will eine Liquidation verhindern und hat für dieses Vorhaben sogar den Segen des SEW -Parteitages eingeholt - auf dem sich die kommunistische Partei nun doch nicht aufgelöst hat. Jetzt scheinen die Träume geplatzt zu sein, das Ende der Druckerei ist abzusehen.

Völlig unklar ist aber, von wem sie eigentlich gelinkt worden sind, von der Geschäftsführung des Druckhauses, von den anonymen Besitzern in der Schweiz, von der SED-PDS oder gar von der SEW.

Das Druckhaus Norden in der Kaiserin-Augusta-Allee ist ein moderner Betrieb. Das Stammkapital beträgt 1,1 Mio. Mark. Rotiert haben die Maschinen bis zur DDR-Wende in erster Linie für Ost-Agitationsmaterial und für die inzwischen eingestellten SEW-Zeitungen 'Wahrheit‘ und 'Neue Zeitung‘. Geschäftsführer ist Werner Neumann, bis Freitag SEW -Mitglied. Das Druckhaus Norden ist aber kein selbständiges Unternehmen, sondern eine 100prozentige Tochtergesellschaft des „Zeitungsdienst Berlin“. Der Zeitungsdienst, Stammkapital 1,5 Mio. Mark, war der Herausgeber der beiden SEW-nahen Tageszeitungen. Geschäftsführer dieses Unternehmens ist ebenfalls Werner Neumann.

Beide Unternehmen aber wiederum gehören einer anonymen Briefkastenfirma mit Sitz in Zürich, der „Orvag AG“, die in Berlin noch die Grundstücksgesellschaft Gründel, die Treuhand-Verwaltungs- und Organisationsgesellschaft und das „euro-buch“ besitzen. Einziges Mitglied des Verwaltungsrates ist Georg Lechleiter, gerngesehener Gast auf SEW -Parteitagen. Dieser Herr bestellte zum Generalbevollbemächtigten aller Orvag-Unternehmen Werner Gierke, ebenfalls bis vergangenen Freitag SEW-Mitglied. Wem aber die Orvag nun eigentlich gehört, wußte bis vorgestern niemand genau. „Es ist sicher, daß die Orvag eine Tarnfirma der SED-PDS ist“, der persönliche Referent von Gregor Gysi hat es am Wochenende Mitgliedern der Untersuchungskommission bestätigt. Soweit so schlecht, der Betriebsrat des Hauses und der neugegründete „Verein zur Überführung des Druckhauses Norden in Belegschaftshand“ sahen endlich, nachdem die Eigentumsverhältnisse klar schienen, Land in Sicht, fuhren nach Ost-Berlin und versicherten sich der Unterstützung der PDS. Die PDS „befürwortete den Plan eines Belegschaftsmodells, sicherte den Beschäftigten solidarische Unterstützung zu und wies den Verwaltungsrat der Orvag an, den Generalbevollmächtigten Gierke abzulösen“, hieß es auf der gestrigen Betriebsversammlung. Damit wäre, so der Betriebsrat Martin Hild, „der Weg zu einer Weiterführung der Druckerei freigeworden“. Aber weder der Verwaltungsrat Lechleiter noch der Generalbevollmächtigte Gierke denken im entferntesten daran, einen PDS-Auftrag auszuführen, parteipolitische Loyalitäten gibt es ja nicht mehr. Die Herren haben sich verselbständigt, die Liquidation wollen sie durchziehen, die Belegschaft wird, sofern Geld in der Kasse ist, mit einem Sozialplan abgespeist werden. Wieviel Geld aber tatsächlich da ist, ist auch unbekannt und wird es bleiben. Denkbar ist aber auch ein Doppelspiel der PDS, wer durchschaut schon ihre Geldgeschäfte, und Devisen sind Devisen.

Anita Kugler

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