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Heillos in die Wirklichkeit

■ Dietmar Hochmuths DEFA-Film „Motivsuche“

Dietmar Hochmuths In einem Atem , der vor einem Jahr auf dem Saarbrückener Ophüls-Festival lief, ist einer der witzigsten jüngeren deutschen Filme, eine Geschichte über Aus- und Aufstieg in der DDR, rasant erzählt und in einer hinterhältigen Apotheose der Anpassung gipfelnd, für die der Held eigentlich nur eins preisgeben muß: sich. In Motivsuche, den Hochmuth kurz vor der Wende drehte, steigt der Held nicht mehr aus, sondern scheitert - an etwas, das es in der DDR offiziell gar nicht gab: an der Wirklichkeit.

Rüdiger Stein (Peter Zimmermann), DEFA -Dokumentarfilmregisseur, hat sich seine Privilegien durch gediegene Kulturfilme Über Luther, Bach und ähnliche Tote erwirtschaftet. Jetzt steht er mit Melanchthon im Plan. Aber er protestiert: „Immer wenn so ein Renaissance-Riese seinen Vierhundertsten hat, bin ich dran. Ich bin jetzt 37 und habe noch keinen richtigen Film gemacht.“ „Ja, ich weiß, der Faßbinder“, antwortet der Studioleiter, er scheint diese Art Krisen zu kennen. Stein will einen Film über die 17jährigen Jugendhilfezöglinge Manuela und Klaus drehen, die ein Kind bekommen und zusammenziehen wollen. Familiengründung soll der Film heißen. Nach einigen Kämpfen wird das Projekt genehmigt.

Aber das Plazet der Behörden reicht nicht aus, es gibt eine weitere Widrigkeit: Manuela und Klaus. Die beiden sind zu chaotisch und kaputt, um einfach so ihren Weg im Sozialismus zu finden. Alle Versuche Steins, bei Manuela und Klaus einzugreifen und die Wirklichkeit so zu arrangieren, daß sie DEFA-Dokumentarfilmfähig wird, sind umsonst. Hinzukommt, daß sein Kameramann kein Blut sehen kann. Also flüchtet sich Stein in die Alternative: Melanchthon. Aber nach seinem Sündenfall klappt auch das nicht mehr. Hinreißend Steins verdrießlich abgewandter Blick bei den spitzfingrigen Ausführungen des Wittenberger Pastors über Melanchthon und die Kirchenväter.

Stein ist jetzt heillos in die Wirklichkeit verstrickt. Manuela und Klaus lassen ihn nicht mehr los, und Stein wird ihnen immer ähnlicher. Nacheinander verliert er Überzeugung, Job, Familie und Wohnung. Am Ende findet er sich als Aushilfskellner auf einem Ausflugsdampfer wieder.

Der Film ist radikaler als die Tresorfilme von 64/65. Er führt dem Sozialismus seine konstitutive Unmöglichkeit vor, den schreienden Widerspruch zwischen Wirklchkeit und Selbstbild, der bald darauf, wie man inzwischen weiß, eine für die DDR vernichtende Dynamik entfaltete. Eines geht dem Film glücklicherweise ab: die Larmoyanz und die Selbstgefälligkeit, die die Selbstreflexion des Mediums Film im Westen oft so unerträglich gemacht hat. Hochmuths größte Tugend ist der Sarkasmus. Schön auch, daß bei aller Sozialismuskritik, die Kirche nicht ganz vergessen wird.

Schade ist nur, daß der Film der Intelligenz seiner Konstruktion nicht ganz standhält. Er hat nicht das amerikanische Tempo von In einem Atem, und er hätte es gebraucht. Witz darf nicht nachlassen. In den letzten Minuten scheint der Film sowenig wie der Held zu wissen, wohin. Vielleicht sollte Hochmuth den Film durch ein paar Kürzungen straffen. Vielleicht wäre das auch schon wieder Manipulation an der Gechichte.

Thierry Chervel

Dietmar Hochmuth „Motivsuche“ DDR, 110 Minuten

Der Film läuft ab Juni in den Kinos der DDR.

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