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Gekürzte Atomprogramme verdeutlichen Abhängigkeit

Niger: Die Wirtschaft ist komplett auf den Uranabbau und -export ausgerichtet / IWF-Unterstützung brachte vorerst nur blutige Revolten / Kein Schutz vor Umwelt- und Gesundheitsgefahren bei Abbau und Abfallagerung des Uranabbaus / Landwirtschaft nach Sahelkatastrophe nicht wieder auf die Beine gekommen  ■  Von Thomas Siepelmeyer

Die kürzliche blutige Niederschlagung der Studentenrevolte im Niger - Polizei und Armee sollen mehrere Dutzend protestierende Jugendliche erschossen haben - hat für kurze Zeit die Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse in einem Land gerichtet, das wie kein zweites in der Dritten Welt auf Gnade und Ungnade der westlichen Atomindustrie ausgeliefert ist, als Zulieferer von Uranerz für den Brennstoff in den AKWs. Auch Niger, das noch vor einiger Zeit für viele als gelungenes binnenmarktorientiertes Modell galt, spürt nun die fatalen Auswirkungen außenwirtschaftlicher Abhängigkeit, in die noch der 1987 verstorbene Militärmachthaber Seyni Kountche das schwarzafrikanische Land geführt hat.

Heute läßt sein Nachfolger und Neffe Ali Seybor auf die Menschen schießen. Noch bis 1974 war die Wirtschaft des Niger von der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte, hauptsächlich Erdnüsse, bestimmt, die dann in das „Mutterland“ Frankreich ausgeführt wurden. Doch die Dürre Mitte der siebziger Jahre zerstörte einen großen Teil der Landwirtschaft. Heute nun hängt der Niger fast vollständig vom Uranabbau ab. Bis zu 90 Prozent des Exportwertes machten Anfang der achtziger Jahre Uranerz und Uran aus. Mit dem Fall der Uranpreise - Anfang 1980 wurden ungefähr 90 US -Dollar pro Kilogramm bezahlt, heute noch 50 US-Dollar, für kurzfristige Kontrakte sogar nur etwa 20 US-Dollar - ist dieser Anteil in den letzten Jahren etwas zurückgegangen, stiegen die Probleme. Im Gegenzug wird auch ein großer Teil der Importe von den Erfordernissen der Uranindustrie bestimmt: technische Anlagen, Brennstoffe, Schwefel und ähnliches. Ein ehrgeiziger Entwicklungsplan ging noch Anfang der achtziger Jahre davon aus, daß 1990 10.000 Tonnen Uran gefördert würden, 1989 produzierten die Uranminen knapp 4.000. Der weltweite Widerstand gegen die Atomanlagen hat die Industrie zu mächtigen Einschnitten in ihre Programme veranlaßt.

Cogema herrscht

Die gesamte Infrastruktur des Landes ist auf den Uranabbau und den Transport des geförderten Urans zurechtgeschnitten. Eine 850 Kilometer lange Straße verbindet die Abbauzentren mit der Hauptstadt Niamey und von dort mit den westafrikanischen Häfen Benins und Nigerias, über die das Uran hauptsächlich nach Frankreich exportiert wird. In offenen Lastwagen wird das Uranoxid zu den Häfen transportiert. Die Produktionszentren mit zwei riesigen Tagebauminen (Arlette und Ariege) und einer der weltweit größten Untertageminen wurden Anfang der siebziger Jahre in Betrieb genommen. Der französische staatliche Atomkonzern „Cogema“ beherrscht Abbau und Verarbeitung, auch die bundesdeutsche Urangesellschaft in Frankfurt ist mit 6,5 Prozent beteiligt.

Der Urangehalt des abgebauten Sandsteins ist relativ gering, so daß große Mangen an Gestein gesprengt, zermahlen und verarbeitet werden müssen. 600 Tonnen importierter Schwefelsäure werden allein pro Tag benötigt, um das Uran aus dem Sandstein herauszulösen, ebenso Zehntausende Kubikmeter Wasser, die teilweise von weit her herangeführt werden müssen. Um die Radioaktivität in der Untertagemine einigermaßen gering zu halten, müssen pro Sekunde nicht weniger als 500 Kubikmeter Frischluft in die Stollen geblasen werden, ebenso viel radioaktiv belastete Luft tritt natürlich auch wieder in die Atmosphäre aus. Stündlich werden auch 250 Kubikmeter verseuchtes Wasser aus der Mine gepumpt. Der radioaktiv belastete und chemisch verseuchte Abraum wird, nicht durch Wasserbedeckung gegen den Radongasaustritt und den Wind geschützt, frei in der Wüste abgelagert, die Abraumhalden sind nicht abgesperrt.

Direkt in den Minen arbeiten ungefähr 3.600 Menschen. Acht Prozent davon sind Ausländer, hauptsächlich Franzosen. Sie besetzen im wesentlichen Management- und Ingenieurpositionen, arbeiten in klimatisierten Büros, während die schwarzen nigrischen Arbeiter in der Wüstenhitze und unter Tage die Drecksarbeiten machen müssen. Freie gewerkschaftliche Organisierung ist den nigrischen Arbeitern verboten, es exisitiert nur eine staatlich gelenkte Organisation, in der die Arbeiter Zwangsmitglieder sind, die aber weder von der Form noch vom Inhalt her etwas mit einer Gewerkschaft zu tun hat.

Durch den Uranabbau werden vor allem die Nomadengruppen der Peul und Tuareg getroffen. Die Abbaugebiete liegen etwas nördlich von ihrem Weidegrund für Ziegen und Kamele, und auf ihren saisonalen Wanderungen von Nord nach Süd und zurück durchstreifen sie das Gebiet. Sie kommen neben den Arbeitern in der Mine und den Bewohnern der umliegenden Ortschaften als unmittelbar Betroffene mit dem radioaktiven Radongas und dem Staub der Minen in Berührung. Ihre Nahrung und ihr Wasser sind verseucht, sie atmen die Luft aus den Stollen ein mit der Aussicht, nach Jahren mit einiger Wahrscheinlichkeit unter Lungenkrebs und anderen Erkrankungen zu leiden. Eine medizinische Überwachung, geschweige denn Behandlung geschieht nicht. Im Niger gibt es für 50.000 Menschen nur einen Arzt, für die Nomadenvölker noch nicht einmal den, da die Ärzte fast ausschließlich in den Städten praktizieren. Studien in den USA, der CSSR, der DDR und Schweden haben zur Genüge bewiesen, daß Uranminenarbeiter fast sicher an Lungenkrebs sterben werden.

Die „Entwicklung“ des Niger ist heute eines der krassesten Beispiele für die Ausrichtung der nationalen Ökonomie auf den Weltmarkt. Nicht ein Gramm des Urans kann in irgendeiner Art und Weise im Lande selbst verbraucht werden, alles wird exportiert. Für den Aufbau der Infrastruktur für diese Industrie hat der Niger in den vergangenen Jahren Kredite bei den internationalen Finanzinstitutionen, dem Währungsfonds (IWF) und der Weltbank sowie bei Privatbanken aufgenommen. 1989 betrugen die daraus erwachsenen Schulden 1,7 Milliarden US-Dollar, was ungefähr das Bruttosozialprodukt eines Jahres ausmacht. Allein für den Schuldendienst mußte das Land im vergangenen Jahr über 50 Prozent der gesamten Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen aufbringen. 1970 machte die öffentliche Verschuldung nur fünf Prozent des Bruttosozialprodukts aus, was auf eine direkte Beziehung zwischem dem Aufbau der Uranindustrie und der absoluten Verarmung des Landes hindeutet. Strukturanpassungsprogramme des IWF waren mit den üblichen Auflagen verbunden: Reduzierung des Zahlungsbilanzdefizits, strikte Kontrolle der Geldmenge und Kreditgewährung, Liberalisierung der Preise und des Handels sowie eine Leistungssteigerung des öffentlichen Sektors. Auf dem Landwirtschaftssektor hat die Weltbank durchgesetzt, daß bisher extensiv genutzte Flächen nun intensiv genutzt werden sollen, völlig im Gegensatz zur Ökologie der Sahelzone und den bisherigen traditionellen Viehzuchtmethoden in der Region. Zur Abstützung dieser Programme wurden von der EG in den vergangenen sechs Jahren über 300 Millionen DM bereitgestellt. Im Gesundheitssektor und im Bildungsbereich wird ebenfalls abgebaut: nach den bevölkerungspolitischen Ansichten der Weltbank gibt es in den afrikanischen Ländern ohnehin zu viele SchülerInnen und StudentInnen. Auch darauf war die Revolte der Jugendlichen eine Antwort. Thomas Siepelmeyer ist Mitarbeiter bei

Afrika-Arbeitskreis „Akafrik

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