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„Eine zweite Revolution ist möglich“

Petre Mihai Bacanu, Journalist und Kritiker des Ceausescu-Regimes, über die mittelfristigen Perspektiven Rumäniens  ■ I N T E R V I E W

Petre Mihai Bacanu (47), Journalist bei der Tageszeitung 'Romania libera‘ versuchte im Oktober 1988 zusammen mit Kollegen, eine illegale Zeitung, 'Rumänien‘, herauszubringen, um Ceausescu zu einem authentischen Dialog mit der Bevölkerung zu zwingen. Als die erste Seite der Zeitung gedruckt war, wurden sie aufgrund von Denunziation verhaftet. 'Romania libera‘ ist heute die einzige Zeitung, in der kompromißlos auch die neuen Mächtigen kritisiert werden.

taz: Herr Bacanu, der rumänische Journalismus hat zur Zeit eine Chance, die in den letzten Jahrzehnten kaum vorstellbar war...

Bacanu: Nach so vielen Jahren Zensur können wir es kaum fassen, daß wir uns nun selbst nicht mehr zensieren müssen. Denn noch teuflischer als die vom Regime verordnete Zensur war die Selbstzensur. Es kamen so viele Verfügungen, daß keiner mehr wußte, was richtig oder falsch war. Jetzt kann uns keiner mehr die Freiheit nehmen, das zu sagen, was wir denken. Genauso bin ich überzeugt, daß den Rumänen keiner mehr die Demokratie und die Freiheit nehmen kann. In Rumänien wird, falls nötig, eine zweite Revolution stattfinden.

Die Presse hat offenbar organisatorische und materielle Schwierigkeiten?

Es fehlen Geräte, wir haben nicht einmal gute Aufnahmegeräte. Außerdem gibt es technische Schwierigkeiten: Es gibt jetzt einen noch nie dagewesenen Bedarf an Zeitungen. Vor den Zeitungsständen sind die Menschenschlangen fast schon länger als vor den Fleischläden. Die Zeitung 'Romania libera‘ könnte nun ihre Auflage von einer auf drei Millionen erhöhen.

Ich nehme an, daß diese Zeitung jetzt ihren Namen („Freies Rumänien“) verdient. Sie war als einzige wohl auch nicht von Anfang an der KP untergeordnet?

Wir waren die erste Zeitung, die sich unbhängig erklärt hat. Nach uns haben das auch andere Zeitungen gemacht, sogar die 'Scienteia‘, die Zeitung des ZK der KP. Wenn die Presse sich irgendeiner politischen Gruppierung anschließt, zum Beispiel der Front zur Nationalen Rettung, dann wird sie einen großen Fehler begehen. Wir, 'Romania libera‘, sind weder das Organ der Front noch der Regierung. Ganz im Gegenteil: Falls nötig, kritisieren wir sowohl die Front als auch die Regierung. Wir haben gegen alle Minister, die vom alten Regime kompromittiert waren und in die neue Regierung aufgenommen wurden, Stellung bezogen und deren Vergangenheit aufgedeckt.

Das Land wurde von Ceausescu in ein Desaster geführt. Welche Lösungen sehen Sie, aus diesem Zustand herauszufinden?

Das wichtigste Problem ist das der Bodenreform. Meiner Meinung nach muß der Boden den Bauern gehören. Das zweite Problem ist die Wirtschaftsreform. Meiner Meinung nach ist die Privatisierung unumgänglich. Oder man findet eine Lösung in Richtung gemischter Gesellschaften. Zuallererst müssen aber die untergeordneten Strukturen reorganisiert werden. Das bisher beste Beispiel, das wir durch unsere Zeitung publik gemacht haben, ist das des „1. Mai„-Unternehmens in Ploiesti. Eine Gruppe kluger Köpfe dort hat die Satzung einer amerikanischen Gewerkschaft studiert und ein Muster zur Gründung einer wirklich freien und unabhängigen Gewerkschaft gefunden.

Als Sie in Haft waren, wußten Sie da, daß es im Ausland Proteste gegen Ihre Verhaftung gab?

Allein aus der Tatsache, daß der Untersuchungsbeamte behauptete, über uns würde keiner ein Wort verlieren, schloß ich, daß es so etwas wie eine Solidarität im Ausland gab. Weniger gut war, daß niemand genau wußte, weshalb wir verhaftet worden waren. Um das Ganze geheim zu halten, wußte nur ein ganz enger Kreis von unserem Vorhaben. Und trotzdem sind wir verraten worden.

Wissen Sie heute, wer sie verraten hat?

Ja, ich kenne den Menschen.

Haben Sie ihn schon gesprochen?

Nein. Und ich nenne auch seinen Namen nicht, denn ich befürchte, die Leute würden ihn lynchen. Und ich ziehe es vor, mit ihm ein persönliches Gespräch zu führen und den Mechanismus zu entdecken, der ihn dazu gebracht hat, uns zu verraten.

Hatten Sie Informationen über die Dezember-Ereignisse?

Ich war sechs Monate im Gefängnis der Securitate, im Zentrum Bukarests. Während dieser Zeit ist mir auch die Stimme abhanden gekommen, weil ich niemanden hatte, mit dem ich hätte reden können. Danach wurde ich für fünf Monate nach Jilava verlegt, in ein Gefängnis, das man sich grausamer nicht vorstellen kann. Und zwei Wochen vor dem 22.Dezember wurde ich wieder ins Gefängnis der Securitate gebracht. Am 22.Dezember, etwa um elf Uhr, hörte ich Hubschraubergeräusche, Lärm, Rufe. Plötzlich hörte ich jemanden rufen: „Ich sterbe für das Volk.“ Da ahnte ich, daß Menschen verhaftet wurden, denn auch die Wärter verursachten einen ungewöhnlichen Lärm. Während der ganzen Zeit meiner Haft durfte ich keine Zeitung lesen, so daß ich nicht wußte, was sich in Europa alles verändert hatte. Zwei Stunden, nachdem ich die Hubschrauber gehört hatte, wurde ich befreit, und eine Stunde darauf war ich in der Redaktion.

Interview: Helmuth Frauendorfer

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