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Libanesische KurdInnen: „Sie sind ein Nichts“

■ Gutachter der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ informierte über die Lebensbedingungen libanesischer Kurdinnen

Libanesisch-kurdische Flüchtlinge in Bremen. Beengtes Leben in zwei Zimmern. Sperrmüll liegt vor dem Haus. Polizisten stehen vor der Tür, weil Jugendliche beim Klauen erwischt worden sind. Die deutschen NachbarInnen scheuen den Kontakt.

Am vergangenen Donnerstag erläuterte der Göttinger Orientalist Alexander Sternberg-Spohr der dritten Kammer des Bremer Verwaltungsgerichts, warum KurdInnen zu Zehntausenden aus dem Libanon nach Europa geflüchtet sind und welche schier unvorstellbaren Lebensbedingungen sie dort verlassen haben. Ein nüchtern-kompetenter Vortrag, der eine die kurdisch-arabischen Fremdlinge besser verstehen ließ.

Auf 100.000 wurde die kurdische Minderheit vor Ausbruch des Bürgerkriegs geschätzt, nur wenige davon hatten es zu Großgrundbesitz oder städtischem Reichtum gebracht. Die Massen

flucht in den 15 Kriegsjahren hat dazu geführt, daß heute nur noch 5.000 bis 8.000 KurdInnen im Libanon ausharren, viele davon im Untergrund.

Aus zwei Provinzen Türkisch-Kurdistans war in den zwanziger Jahren Landbevölkerung in den Libanon geflüchtet. Hungersnöte und das blutige Ende eines Aufstands hatten die kurdischen Familien über die Grenze getrieben. Vor allem die Frauen hielten an den Traditionen fest, tragen bis heute die Trachten. Auch die Sprache, ein Gemisch aus Arabisch, Aramäisch und Kurdisch, verrät bis heute die Ursprünge.

Mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges wurde die Situation prekär. Der Grund: Die kurdischen Familien schickten ihre Söhne in verschiedene politische Organisationen, um sich so für Zeiten wechselhafter Machtverhältnisse abzusichern. Ähnlich agierten die politischen kurdischen Führer. Sie gingen wechselnde Allianzen

ein. Eine „Schaukelpolitik“, die, so Sternberg-Spohr, zur Folge hatte, „daß die kurdische Gemeinde nicht mehr als zuverlässiger Partner angesehen wurde“. Hinzukam, daß sich in den Kriegswirren die Menschen zerstreuten, bewaffnete kurdische Milizen konnten keine Straßen oder Märkte mehr beherrschen. Und dies in einem Land wo das Prinzip der „territorialen Herrschaft“ gilt, wo nach dem völligen Zerfall der Staatsmacht Milizen das Sagen haben über Straßenzüge und Stadtviertel. Sternberg-Spohr: „Wer dort nichts zu bieten hat, hat kein Lebensrecht mehr.“ Der Gutachter weiter: „Die Kurden gelten als der letzte Abschaum. Politisch unglaubwürdig, an den Rand gedrängt, kriminell. Die Kurden sind heute noch schlechter dran als die Palästinenser.“ Denn die PalästinenserInnen würden auch nach dem Abzug der PLO-Kämpfer noch respektiert, weil die PLO außerhalb des Libanons einen Machtfaktor darstelle.

„Der letzte Abschaum“ - das heißt unter den brutalen Überlebens-Bedingungen des Bürgerkriegs: Kurdische NachbarInnen werden schikaniert, von den Lebensmittelverteilungen der Milizen ausgeschlossen. Wenn ihre arabischen NachbarInnen ein Auge auf ihren Wasseranschluß, auf ihren Stromanschluß oder auf

ihren stabilen Keller geworfen haben, werden sie aus ihren Wohnungen vertrieben. Auch kleine Geschäfte, Dienstleistungsbetriebe sind heute nicht mehr in sunnitisch -kurdischer Hand, sondern in schiitisch-arabischem Besitz. Diese Vertreibung, so der Gutachter, gehe mit „freibeuterischer Gewalt“ vor sich. Den kurdischen Familien, den „Fremdkörpern“, bleibe nichts anderes

übrig, als um Almosen zu bitten oder zu stehlen.

Zu dem Kampf ums tägliche Brot kommt die politische Verfolgung: Entführungen, Folter, Mord. Amal-Milizionäre nehmen Rachen an kurdischen Familien, wenn sie den Verdacht haben, daß in früheren Jahren eines der kurdischen Familienmitglieder in Kämpfe mit der Amal verwickelt war. Kurdische Führer sind im

Ausland oder tot.

Überleben können kurdische Familien höchstens, so der Gutachter, wenn sie außerhalb von Ortschaften unerkannt bei einer arabischen Familie Unterschlupf fänden, oder „wenn sie einen Baum finden, von dessen Früchten sie essen können“. Sternberg-Spohr: „Die Kurden sind kaputt im Libanon. Sie sind ein Nichts geworden.“

Barbara Debus

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