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Ist Markus Wolf nun abgetaucht?

■ Vertraute des Ex-DDR-Spionagechefs dementieren Flucht nach Moskau / Nur kurzer Urlaub Staatsanwaltschaft: Kein Ermittlungsverfahren gegen Wolf / BND hofft erfolglos auf große Fische

Berlin (taz) - Ist Markus Wolf, ehemaliger Spionagechef der DDR, vor drohender Verhaftung nach Moskau geflohen? Eine Recherche der 'Süddeutschen Zeitung‘, Wolf hätte sich durch seinen Abgang einer drohenden Verhaftung im Zuge der Ermittlungen gegen den Stasi-Oberst Schalck-Golodkowski entzogen, wurde in Ost-Berlin umgehend dementiert. Generalstaatsanwalt Hans-Jürgen Joseph: „Es gibt keine Ermittlungen gegen Markus Wolf“, in welchem Zusammenhang auch immer. Vertraute von Wolf, unter ihnen PDS-Chef Gregor Gysi, bestätigen zwar, daß Wolf sich zur Zeit in Moskau aufhält. Von Flucht könne allerdings keine Rede sein. Wolf halte sich seit dem 12. Februar mit seiner Familie in der Sowjetunion auf, um eine russische Ausgabe seine Buches Troika vorzubereiten, erklärte der persönliche Mitarbeiter Wolfs, Eberhard Meier, gegenüber 'adn‘. Gysi gab als Grund für die UdSSR-Reise Wolfs ebenfalls eine Buchproduktion an, allerdings arbeite der ehemalige Spionagechef an einem neuen Werk über die Ereignisse in der DDR. Die 'Süddeutsche‘ wollte bereits von zwei bundesdeutschen Verlagen wissen, die sich um die Rechte an dem Buch bemühen.

Offen blieb bei allen Äußerungen, wann Wolf in die DDR zurückkommt. Während sein Mitarbeiter von den nächsten Wochen sprach, verwies Gysi auf den enormen Besucherandrang bei den Wolfs in Ost-Berlin, der ein ruhiges Arbeiten unmöglich gemacht habe.

Hinter den Kulissen werden allerdings auch andere Vermutungen gehandelt. Seit dem Fall der Mauer bemüht der Bundesnachrichtendienst (BND) sich intensiv um Informanten aus den Mitarbeiterreihen der DDR-Auslandsspionage. Von besonderem Interesse für den BND sind dabei natürlich Leute, die über intime Kenntnisse des sowjetischen KGB und anderer osteuropäischer Nachrichtendienste verfügen. Genau an diesem Punkt aber sind die Erfolge bislang offenbar sehr mager. So sickerte aus bundesdeutschen Geheimdienstkreisen durch, daß der BND bislang vergeblich auf hochkarätige DDR -Nachrichtenleute gehofft hat. Vor allem die Auskunft über operative Quellen sei gleich Null. Zwar liefen bei den verschiedenen Verfassungsschutzbehörden einige Leute an, doch seien die Erkenntnisse sehr mager. Bis auf Schalck -Golodkowski, den der BND zur Zeit gerade an seine amerikanischen Kollegen ausgeliehen hat, ging kein großer Fisch ins Netz. Gegenüber der taz offerierten einschlägige Kreise dazu eine plausible Erklärung: Der KGB habe sich eben rechtzeitig genug der wichtigen Leute versichert. „Die sind längst alle auf der Krim.“ Gut möglich, daß auch Markus Wolf dort noch einige Zeit an seinem Roman arbeiten wird.

Eine Chance, doch noch zum Zuge zu kommen, sehen bundesdeutsche Nachrichtendienstler nun in den Akten und Dateien, die die Stasi in kaum vorstellbarem Umfang angelegt hatte. Ein Antrag von Datenschutz-Experten am Runden Tisch in Ost-Berlin, zumindestens die elektronischen Dateien sofort zu vernichten, wurde von der Mehrheit abgelehnt, da die Informationen erst einmal ausgewertet werden sollen. „Dieser Beschluß“, so der stellvertretende Leiter des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz, Lothar Jachmann, „ist hier sicher von etlichen Leuten wohlwollend zur Kenntnis genommen worden.“

Jürgen Gottschlich

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