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Wie die Missionare mit den Glasperlen

■ Die neue Ostberliner Konzertagentur „Power Music GmbH“ bringt Rockkonzerte mit Produktwerbung und Spielautomaten auf westlichen Konsumstandard / Aus FDJ-Kulturpolitik a la Brot und Spiele wird langsam knallhartes Business

So wie einst die Weißen den neuentdeckten Kontinent Amerika mit Glasperlen und Missionaren des rechten Glaubens beglückten, wurden wir Besucher der am 20.2. begonnenen Konzertreihe „In Concert 90“ in Ost-Berlin mit den Segnungen westlicher Konzertkultur überrascht. Außer einem perfekt -synthetischen Sound von Tangerine Dream erwartete uns nämlich noch die Erfüllung vieler anderer, seit langem gehegter Träume.

Am Eingang bereits machten sich die neuen Verhältnisse deutlich. Mit einem freundlichen Lächeln wurde der gerade hereingekommene Besucher zum Probieren einer Zigarettenmarke aufgefordert. Ihr Name war bedeutungsschwanger und wer an dem West-Import Gefallen fand, konnte gleich die ganze Schachtel zum Preis von 7 Ostmark erwerben. Auch die adrett zurechtgemachten Verkäuferinnen waren Importe. Mädchen aus der DDR hatte man nicht anwerben wollen, weil man nach Aussage eines der Standbetreuer nach Geschäftsende die Zigaretten und Einnahmen nicht noch extra genau überprüfen möchte.

Diese Anspielung auf die Gier der DDR-Bürger nach westlichen Produkten und die daraus abgeleitete Vermutung, daß sie zu jeder Erniedrigung und Schandtat bereit sind, läßt tief blicken. Aber ähnliche Stolpersteine des Anstoßes auf dem dornigen Weg der Vereinigung von deutschen Brüdern und Schwestern werden wohl noch zur Genüge zu erwarten sein. Bis sie, die DDR-Bürger, zu wahren Mitgliedern westlicher Hochkultur werden, müssen sie noch einiges lernen - so zum Beispiel auch den Spaß an den extra aufgestellten westlichen Spielautomaten. So richtig wollte das Tangerine-Dream -Publikum nicht ran.

Aber dafür waren die Plattenverkaufsstände ein voller Erfolg. Schallplatten 35,-, CDs 50,- Ostmark, jeweils. Die Käufer drängten sich und die Branche brauchte sich keine Sorgen um den Absatz zu machen. Für das leibliche Wohl wurde jedoch noch ganz in DDR-Eigenregie gesorgt.

Sollte hier etwa der heiße Draht in den Westen von den Leuten der DDR-Konzertagentur „Power-Music GmbH“ noch nicht so richtig warm geworden sein? Probierhäppchen von McDonalds wären doch eigentlich noch eine willkommene Bereicherung zur bekannten DDR-Kreation „Ketwurst“ (Wurst mit Ketchup) gewesen. Aber das werden die ehemaligen Mitglieder des FDJ -Zentralrates auch bald in den Griff bekommen. Schließlich bringt man nach eigener Aussage jahrelange Konzerterfahrung in die neue Agentur mit ein - was sogar stimmt. Groß- und Jubelveranstaltungen jeglicher Art waren wirklich jahrzehntelang eine der Hauptbeschäftigungen von FDJ -Funktionären. Die Wandlung des Zentralrates zur Power Music GmbH ist schon beachtlich.

Während die Anpassung an die neuen Verhältnisse bei Altfunktionären wie Krenz gerade zu „Exklusivberichten“ in der BILD-Zeitung reichen, schaffen die Jungen den Übergang nahtlos in das westliche Show- und Konzertbusiness. Wenn man bedenkt, daß es früher jeglichem FDJ-Kulturfunktionär bei Strafe vom alten Zentralrat verboten war, Kontakte zum Agentur-Giganten Concert-Concept oder RIAS 2 zu haben, freut einen doch die Geschwindigkeit, mit der eben dieser alte Zentralrat nun den alten ideologischen Plunder über Bord wirft. Man teilt sich in Zukunft lediglich die bisherige Monopolstellung. Die DDR-Künstleragentur als derzeit immer noch einzige DDR-Organisation mit Devisenmonopol, die Power Music GmbH, Concert-Concept und RIAS 2, sie alle sorgen jetzt gemeinsam mit Musikangeboten für die DDR-Jugend.

Die finanzielle Absicherung der Konzerte erfolgt, wie auch im Westen nicht anders üblich, über Produktwerbung wie zum Beispiel für Jeans und Zigaretten. Von parteistaatlich gelenkter Kulturpolitik kann also keine Rede mehr sein. Es gibt in diesem Bereich schon jetzt nur noch eine Institution die das Sagen hat - die freie Marktwirtschaft.

Petra Markstein

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