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Epigonentreff: Das Neueste von Cry Out, Dance or Die und Happy Hour  ■ B e r l i n e r P l a t t e n t i p s

Machinery ist ein relativ junges Label und der Name ist Programm. Im Info malt sich die Plattenfirma den eigenen Stammbaum, der frecherweise bei Bartok, Strawinsky und Stockhausen anfängt und über eine Autobahn mit allem, was mit Elektronik experimentierte (John Cage, Giorgio Moroder, Tangerine Dream, Kraftwerk, Clock DVA, etc.), direkt zu den Machinery-Acts führt. „Legitime Erben“ tönt es. Großkotzigkeit gehörte in der Branche schon immer zum guten Ton. Dance or Die lassen die Sequenzer und E-Drums wummern, nennen ihre erste Mini-LP „Dance or Die I“ und beweisen so nur wieder die leider zu oft auftretende und bedauernswerte Phantasie- und Herzlosigkeit solcher Musik. Daß das ganze reichlich monoton ist, liegt in der Natur der Sache. Da heutzutage jeder Idiot einen tanzbaren Beat programmieren kann, wird auf Teufel komm raus gesampelt, in der Hoffnung auf ein eigenes Profil. Dance or Die nennen ihre elektronische Eintönigkeit selbst „psychedelic dancefloor“, aber was denn nun oder ob etwa ausgerechnet Kindermördergesang psychedelisch sein soll, bleibt ihr Geheimnis. Die Grundstimmung der fünf Stücke gemahnt eher an die Suizidphantasien kleiner Düsterrock-Bengelchen aus den späten Siebzigern und frühen Achtzigern. Joy Division lassen grüßen.

Andere packen die guten alten Instrumente aus: Ein paar Epigonen mehr, aber besser solche als andere. Cry Out zeigen mit ihrer ersten titellosen Maxi (auf Lingo Records), daß sie, auf den Sound von Ami-Neo-Hippie-Bands bauend, zusätzlich den amerikanischen Folk gefressen und ganz prächtig verdaut haben. Die vier Stücke entführen uns in die endlosen Weiten staubiger Steppen, die Halbakustische rabaukt durch Wandergitarrenriffs, während sich Akkordeon und Dudelsacksoli für englische Hochmoore zuständig erklären. Der (natürlich) englische Gesang reißt einen zwar nicht vom Hocker, ist aber auch nicht peinlich, was für eine deutsche Band schon mal nicht schlecht ist. Dummerweise ist der Sound etwas dünn geraten und vor allem die schönen kitschigen Stellen hätten einen ganzen Batzen Hall vertragen können.

Absolut keine Probleme mit zu dünnem Sound haben Happy Hour auf ihrer ersten Single Destiny, obwohl sie im Kohlenkeller des Mixers aufgenommen sein soll. Kein Staub weit und breit, statt dessen kommt der Titelsong „Horny Sonja“ in guter Durchschnitts-Hardrock-Geschwindigkeit daher und sollte mit seiner hitverdächtigen Melodie gute Indie -Charts-Chancen haben. Die beiden Songs auf der Rückseite entlarven die geile Sonja allerdings als Zugeständnis an die Marktverträglichkeit. Alles da, was eine gute Ex-Punk, heute Hard Core-Band braucht: Rhythmuswechsel, Stakkato-Beat und härteste Metal-Gitarren schielen verdächtig in Richtung Jingo de Lunch, womit wir das heutige Epigonen-Kapitel schließen wollen.

Thomas Winkler

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