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Dienstleistungsethik-betr.: "Euthanasie in Extremfällen", LeserInnenbrief, taz vom 6.2.90

betr.: „Euthanasie in Extremfällen“, Leserinnenbrief,

taz vom 6.2.90

Singers Ethik ist Dienstleistungsethik - sie ist ein rein funktionales Moralkonstrukt.

Das Erscheinungsdatum von Singers Praktischer Ethik fällt mit der Geburt des ersten „Retortenbabys“ zusammen. Die „Retortenväter“ Wood/Trounson arbeiten „zufällig“ wie Singer an der Monash University Melbourne. Seit 1982 gibt Singer mit dem Gynäkologen Walters zusammen die Schriftenreihe Studies in bioethics heraus. In Band 2 „The Reproduktion Revolution“ (1984) beschäftigt sich Singer mit der vorausschauenden Diskussion „ethischer Probleme“, die durch die Ausweitung der Reproduktionsmedizin zur Standarttechnologie im Gesundheitswesen aufgeworfen werden könnten. Es geht inbesondere um die Embryonenforschung - das Melbourner IVF-Team hielt hier die Weltspitzenstellung. Und natürlich versteht es Singer alle möglichen Gegenargumente vorab schon zu entkräften. Als Einwände übrig bleiben für ihn nur der „Kostenaspekt“ (IVF ist noch zu teuer) und die Möglichkeit der „Schädigung“ durch künstliche Befruchtung. Im letzteren Fall müsse „man noch ein oder zwei Jahre warten“ um derartiges mit Sicherheit ausschließen zu können. Vorsichtshalber veröffentlich Singer dann aber genau ein Jahr später die Bioethische Studie Nr. 3 mit dem Titel „Should the baby life?“ (1985): „Wir meinen, daß einige Kinder mit schweren Behinderungen getötet werden sollten“ (Vorwort).

Nicht die KritikerInnen reißen Zitate von Singer aus dem Zusammenhang, sondern seine ProtagonistInnen dessen „Vorschläge“ aus dem Dienstleistungszusammenhang zur (australischen) Reproduktionsmedizin. Aus diesem Kontext gelöst wird Singers Moralrethorik dann für die hiesige „Euthanasie„-Diskussion funktionalisiert.

Es nützt den „Extremfällen“ wenig (vom Menschen ist bezeichnenderweise schon nicht mehr die Rede), wenn PhilosophInnen wie zum Beispiel U.Wolf zwar „nicht die Augen“ dafür aber den Verstand verschließen. Haben nicht auch die „Extremfälle“ ein Recht auf philosophische Phantasie und Einfallsreichtum, die (neue) Formen der Lebenshilfe ersinnen und handlungsrelevant diskutieren, statt sie auf Konstruktion von Euthanasierichtlinien zu verschwenden.

Hans-Jürgen Jonas

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