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„Wie eine Mondlandschaft“

■ Die Skiflieger sind bei der WM über die miese Vorbereitung der Norweger erbost

Vikersund (dpa) - Das Mutterland des nordischen Skisports hat dem Skifliegen einen schlechten Dienst erwiesen. Das war der einhellige Tenor unter den Teilnehmern der 11. Weltmeisterschaft in Vikersund, die am Sonntag um 9.35 Uhr mit dem ersten Vorspringer doch noch gestartet werden konnte (Ende nach Redaktionsschluß).

„Was mich bestürzt, ist die grenzenlose Arroganz, mit der uns die Norweger hier tagelang an der Nase herumgeführt haben“, wetterte Bundestrainer Rudi Tusch. „Wir Athleten sind wie so oft die Deppen. Eine optimale Vorbereitung auf den Wettkampf ist unter solchen Bedingungen überhaupt nicht möglich“, ärgerte sich Thomas Klauser aus Reit im Winkl, der erfahrenste Flieger des Deutschen Skiverbands (DSV).

Und Österreichs Sportchef Paul Ganzenhuber tobte am Samstag abend: „Eine glatte Sauerei. Da haben wir ideales Flugwetter und die Schanze ist nicht fertig. Die ganze Organisation und Information hier ist katastrophal. So etwas habe ich überhaupt noch nicht erlebt.“

„Man kann doch keine Skiflug-WM machen, wenn zwei Tage vor dem geplanten Training noch kein Schnee auf der Schanze liegt“, meinte Tusch und fand, daß in diesem Falle der Technische Delegierte der FIS hätte reagieren müssen. „Der Fehler lag darin, daß man die Mannschaften überhaupt nach Norwegen anreisen ließ. Das war schon eine Frechheit.“

Auch Ganzenhuber schimpfte: „Herr Gasser hätte das am Dienstag absehen müssen.“ Der Schweizer Hans-Heini Gasser hatte zwar eine Absage erwogen, sich aber dann von den Norwegern überreden lassen. „Die haben mir, als ich am Dienstag angekommen, versichert, daß sie die Schanze hinkriegen würden“, betonte der FIS-Delegierte und zweifelte nicht an diesen Versprechungen. Gasser: „Ich war schon 1977 und 1980 hier. Damals klappte alles perfekt.“

Am Samstag, nach permanenten „Krisenstab-Sitzungen“, kritisierte dann auch Gasser: „Das OK war auf den Sonderfall mit Schneemangel und Wärmeeinbruch nicht vorbereitet. Die Schanze sieht immer noch aus wie eine Mondlandschaft.“ Doch obwohl es dem Schweizer „zum Brüllen und zum Weinen“ war, fand er, daß es „keinen Sinn hat, zu schimpfen“.

Dies taten dann andere. „Daß die Schanze am Freitag und vor allem am Samstag bei phantastischen äußeren Bedingungen nicht fertig war, ist absolut unverständlich“, sagte Gerhard Hochmuth (DDR) vom Kampfrichter-Komitee der FIS. Und DDR -Skipräsident Lothar Köhler mäkelte: „Das war fast schon hochnäsig, wie sich die Norweger vehalten haben. Die ließen sich nichts sagen und wußten alles besser.“

Verstöße gegen die Wettkampfordnung (IWO) bei der Auslosung, das Fehlen von Attaches für die Mannschaften und dürftige Informationen paßten da gut ins Bild. Daß sich die Teams am Samstag in der Halle zu einem Volleyball-Turnier trafen statt zu fliegen, war schlicht grotesk. Es war symptomatisch.

Einige hatten anderes zu tun: Im Park Hotel von Drammen saßen Jens Weißflog, Heiko Hunger und Ralph Gebstedt auf ihren Betten und nähten den Schriftzug eines schwedischen Autoherstellers auf ihre Springeranzüge. Kurz vor der Skiflug-Weltmeisterschaft in Vikersund hatte der DDR -Skiverband mit den Skandinaviern einen vorläufig bis zum Saisonende gültigen Sponsoren-Vertrag abgeschlossen, der den DDR-Skispringern Gelder zur Materialbeschaffung sowie Prämien für Weltcup-Punkte garantiert.

„Wir wollen unseren Springern einen Anreiz bieten und eine gewisse Sicherheit geben. Weil die staatlichen Subventionen fehlen, haben wir uns entschlossen, durch die beiden Verträge für Stimuli zu sorgen“, betonte Präsident Lothar Köhler vom DDR-Skiverband (DSLV). Der 25jährige Weißflog kennt seinen Marktwert und fordert deshalb einen Exklusivvertrag; falls ihm dieser vom DSLV nicht geboten werden kann, ist ein Wechsel nicht ausgeschlossen.

Skiclub-Vorsitzender Claus-Peter Horle legte zwar Wert auf die Feststellung, daß „wir keinen abwerben“, meinte aber auch: „Wenn Weißflog für uns springen will, wehren wir uns dagegen natürlich nicht.“

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