Nietzsches Lachen über die Moderne

■ Ein neuer Anstoß zur Nietzsche-Rezeption in der DDR

Nietzsche ist ein Philosoph, der schon vor der Revolution in der DDR heftig umstritten war. Es gab viele, die den verfemten Denker zu rehabilitieren suchten. Nach außen hin wurde die Beschäftigung mit ihm kaschiert durch die philosophiehistorische Frage, ob es eine Nähe Nietzsches zu Marx gebe. Das wirkliche Interesse war, ihn als Ideologiekritiker zu lesen, der weit genug ging, um selbst eine geheiligte Kategorie wie „das Wahre“ noch infrage zu stellen. In einer Welt, in der im Namen der Wahrheit alles für alle Zeiten festgelegt war, mußte Nietzsche Dynamit sein.

Wolfgang Harich kam demgegenüber die Aufgabe zu, die ideologische Front des rechtgläubigen Sozialismus wiederherzustellen. Nachdem in der DDR-Führung zum Beispiel Tapeten-Hager seinen Erkenntnissen zufolge nicht davor zurückschreckte, sogar ein Nietzsche-Kolloqium zum 150.Geburtstag des Denkers im Jahre 1994 zu planen, setzte er mit einer persönlichen Intervention Honeckers (so seine Aussage in 'Der Morgen‘ vom 10., taz vom 22.Februar 1990) jenen Artikel in 'Sinn und Form‘ durch, der die alte Gleichung Nietzsche Faschismus wiederherstellte.

Diese Gleichung hat im Sozialismus Tradition: Sie geht zurück auf Georg Lukacs (Die Zerstörung der Vernunft) und wurde in jüngerer Zeit erneuert von Heinz Malorny. Sie hat nur eine Schwäche: Sie geht nicht so einfach auf, wie man das gerne hätte, und blendet gänzlich aus, daß jedenfalls das nationalsozialistische Verhältnis zu Nietzsche zwiespältig war - kenntlich etwa an der ablehnenden Haltung des Nazi-Philosophen Ernst Krieck gegenüber Nietzsches Gedankengut, kenntlich auch am ungehinderten Erscheinen von Publikationen, die Nietzsches Lehre als unvereinbar mit dem Nationalsozialismus zurückwiesen (wie zum Beispiel die Flugschrift Nietzsche, Juden, Antijuden, 1936 verfaßt von Curt von Westernhagen).

Während in Frankreich längst auch Marxisten Nietzsche lesen, aus der KP Italiens die Nietzsche-Herausgeber Colli und Monitari kamen und in der Bundesrepublik die Nietzsche -Rezeption maßgeblich von der Linken getragen wurde, wollte man im östlichen Lager die Reinheit der Lehre bewahren. Das versperrte völlig den Blick dafür, daß es Anfang des Jahrhunderts schon eine sozialistsche Nietzsche-Rezeption in Rußland gab, die den russischen Symbolismus und die revolutionäre Volkstheaterbewegung trug; daß Nietzsche für den russischen Denker Anatolij Lunatscharskij, für den polnischen Sozialisten Stanislaw Brzozowski, für den deutschen Sozialisten Gustav Landauer von Bedeutung war.

Ein neuer Vorstoß zur Nietzsche-Rezeption in der DDR kommt nun von Steffen Dietzsch von der Akademie der Wissenschaften in Berlin (Ost). Bei einem Vortrag an der Technischen Universität in Berlin (West) ließ er den Streit um Nietzsche und den Faschismus beiseite, um stattdessen über Nietzsche und die Aktualität zu sprechen. Es war der zweite Vortrag in einer neubegründeten Gesamtberliner Diskussionsreihe, die im zweiwöchigen Turnus wechselweise im Ost- und Westteil der Stadt stattfindet und ein Philosophieren mit zeitdiagnostischem Blick zum Ziel hat. Den Zeitbezug stellte Dietzsch ausdrücklich in den Vordergrund, als er „Nietzsches Lachen über die Moderne“ thematisierte, ausgehend von der Aussage in Jenseits von Gut und Böse, daß vielleicht, „wenn Nichts von heute sonst Zukunft hat, doch gerade unser Lachen noch Zukunft hat“ (die ausführliche schriftliche Fassung des Vortrags erscheint in einer der nächsten Nummern der 'Weimarer Beiträge‘).

Nietzsches Aktualität, so Dietzsch, liegt in seiner radikal aufklärerischen Intention, in seiner Zeitkritik, seiner Distanz zu den „Deutschen“, seiner Suche nach der Möglichkeit des Andersdenkenden, seiner Bestärkung des Individuums. Nietzsche habe seine Aufgabe darin gesehen, den Panzer fester Überzeugungen zu durchbrechen und in einer Zeit, in der alle Welt optimistisch an den Fortschritt zu glauben begann, die Sprünge in der stolzen Moderne deutlich zu machen. Im Gegensatz zu anderen denkerischen Anstrengungen seiner Zeit, zu Marx und zum Historismus, lehnte er es ab, eine Theorie der Geschichte zu kreieren, die deren Gesetzmäßigkeit, deren Anfang und Ende festzuschreiben sucht, ohne dem Individuum, dem Zufall und „dem Leben“ noch Spielraum zu lassen.

Das Lachen, das wir heute melancholisch gegen uns selbst zu richten haben, versteht Dietzsch als Ausdruck der Resignation, die sich aus dem Scheitern des marxistischen Geschichtsmodells ergibt: Ihr wolltet die Welt verändern nun könnt ihr nur noch über euch lachen! Die Aufforderung in Zarathustra, lachen zu lernen, dient nur dazu, Distanz zur eigenen Zeit und zu sich selbst zu gewinnen: Lachen als die einzige Möglichkeit, Absurditäten und Widersprüche auszuhalten - ein Motiv, das nicht nur im Dadaismus aufgegriffen wurde, sondern ebenso angesichts der Absurditäten der Aktualität ein Heilmittel ist.

Zwar stand auch in der anschließenden Diskussion das Lachen im Mittelpunkt. Daß dabei aber herzlich wenig gelacht wurde, ist nicht nur auf die schwierige Aktualität zurückzuführen, sondern hat Tradition unter Philosophen, die sich mit dem Lachen, seit die Philosophie akademisch wurde, nun mal schwertun. Die Reihe wird fortgesetzt: Am 8.März um 19.30 Uhr in der Humboldt-Universität mit einem Vortrag über Carl Schmitt. Da gibt es sicher nichts zu lachen.

Wilhelm Schmid