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Unterwegs zur Ewigkeit

■ Uraufführung nach 150 Jahren: Lenaus „Don Juan“ in Tübingen

Er ist eine der faszinierendsten Kasperlfiguren der abendländischen Kultur. Seine Geschichte gehört zu den meistbearbeiteten Stoffen der Weltliteratur; allein in Spanien, Frankreich und Deutschland existieren jeweils etwa hundert verschiedene Fassungen. Zwei Fragen stehen dabei stets im Vordergrund: Wie, zum Teufel, macht er das nur, das mit den Frauen? Und was hat er eigentlich davon? Die Erkenntnisinteressen sind klar: praktischer Natur auf der einen, theoretischer Natur auf der anderen Seite. Grund genug, fast 150 Jahre nach ihrer Entstehung eine weitere Variante des Don Juan auf die Bühne zu bringen?

Nikolaus Lenau schrieb seinen Don Juan 1843/44. Der Vormärz-Lyriker, vielfach als „Weltschmerz-Dichter“ abgetan, war zeitlebens auf der Flucht vor der geistigen und politischen Enge im Europa der Reaktion, ein revolutionärer und zugleich egozentrischer Geist. 1844 brach er zusammen und wurde in die Irrenanstalt eingeliefert, wo er sechs Jahre später starb. 140 Jahre danach geht im Tübinger Landestheater der Vorhang zur Uraufführung seines Don Juan auf.

Zwei Männer auf der spärlich beleuchteten Bühne (Thomas Zindel): Der Dichter Lenau rechts, in einem angedeuteten Bahnhofswartesaal, Don Juan links, mit dem Rücken zum Parkett, auf einem schmiedeeisernen Schaukelpferd. Der Reisende und das melancholische Spielkind. Zwischen den beiden ein Schienenstrang, der die Bühne in zwei durchschneidet. Wenig später, wenn Don Juan die erste Eroberung des Abends macht, wird Lenau im Hintergrund stehen und seine Figur beobachten. Hier die Kunst und dort das Leben, der Dichter und sein Versuchskaninchen.

Das sind Anordnungen, die Interesse wecken. Aber das hat dem Tübinger Regisseur und Dramaturgen Wolfram Frank nicht genügt. Deshalb zeigt er den Don Juan auch nicht, wie ihn Lenau konzipiert hat, sondern verbiegt ihn zum Alter ego, zum Mit- und Gegenspieler des Dichters, den er mit auf die Bühne stellt. Lenaus Don Juan ist ein Metaphysiker der Sinne. „Raum und Zeit“ will er zusammenwerfen, ein Schürzenjäger unterwegs zur Ewigkeit. Er schmuggelt Dirnen in ein Kloster, das der Abt über den sinnen-seligen Mönchen anzündet, verführt eine Braut in der Nacht vor ihrer Hochzeit und tötet wenig später den rachsüchtigen Gatten. Als ihn zuletzt „das ganze Leben“ langweilt, sucht und findet er den Tod beim Duell. Carsten Klemm spielt den „Don Juan I“ als blutleeren Jüngling: Gesenkten Blicks und wirren Haares schleicht er mit hochgeschlagenem Mantelkragen gramvoll über die Bühne. Eine schwindsüchtige Leidensgestalt, die vom „Rosenspiel der Nacht“, wie es Lenau so schön nennt, gewiß nicht viel weiß.

Hubert Harzer, der den Lenau spielt, kommentiert die Handlung, zitiert aus Gedichten und Briefen Lenaus und schlüpft für die zweite Hälfte des Abends sogar in die Rolle des Helden, er spielt „Don Juan II“ und gibt ihm zumindest gewisse Konturen. Zu sehen ist dennoch vom Autor wie vom Helden nicht viel. Franks Uraufführung ist ein dramaturgischer Gewaltakt mit unansehnlichen Folgen. Tanzeinlagen (einstudiert von Vivienne Newport), die gnadenlos überstrapazierte Zug- und Reisemetapher, ein grotesker Showdown mit Schauspielern in Fünfziger-Jahre -Kostümen (vorher waren es die zwanziger Jahre mit Schirmmütze, auch nicht viel besser) - all das bleibt Theaterzauber, Regie-Bombast, entstanden aus Verlegenheit.

Das heillos überfrachtete Konzept Wolfram Franks bricht auch einem so tapferen Helden wie Don Juan das Genick. Schon nach einer guten halben Stunde dürfte selbst der männliche Teil der Zuschauer das Erkenntnisinteresse verloren haben. Nicht mehr „wie“ und „warum“ heißen jetzt die Fragen, sondern nur noch: Stirbt er bald, oder müssen wir noch lange leiden?

Hubert Spiegel

Die nächsten Aufführungen:

8.3., 9.3. und 10.3.

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