: Um eine Hoffnung ärmer?!
■ Die Wahlniederlage der Sandinisten und die Dritte-Welt-Bewegung
Die Wahlniederlage der Sandinisten in Nicaragua ist bitter. Dies gilt insbesondere für diejenigen von uns, deren persönliche und politische Biographie der letzten elf Jahre eng mit dem Schicksal der nicaraguanischen Revolution verknüpft war. Dieser Schock wird sozialen Bewegungen in und Solidaritätsbewegungen für die Dritte Welt, deren Engagement in der jüngsten Zeit - sieht man von Südafrika ab - ohnehin nicht von einem Übermaß an Erfolgserlebnissen gekrönt war, viel Kraft kosten.
Andererseits bieten gerade bittere Niederlagen eine Chance dazuzulernen. Nicaragua war für viele bis in die jüngste Zeit ein „Vulkan der Träume“. Von Nicaragua erhoffte man sich modellhaft die Schaffung einer gerechten und solidarischen Gesellschaft. Dabei wurde vielen engagierten Menschen, die auf ihren Reisen in Nicaragua nicht nur den Kontakt zu der im Umfeld der Sandinisten organisierten Bevölkerung suchten, schon seit geraumer Zeit gerade am Beispiel Nicaragua klar, daß es Modelle im Sinne einer Vorwegnahme des „Reiches Gottes auf Erden“ oder der Schaffung eines neuen Menschen nicht geben kann. Revolutionen, die auf die politische und ökonomische Entmachtung von Oligarchien zielen, bedingen - auch wenn sie sich im historischen Abstand als notwendig erweisen - fast zwangsläufig extreme Widersprüche, gegenrevolutionäre Gewalt von innen und außen und damit erfahrbare Nachteile für große Bevölkerungsgruppen. Die Wahlniederlage der Sandinisten wird insofern - zumindest für eine längere Zeit - das Ende für eine Solidaritätsarbeit bedeuten, die ihre Motivation in erster Linie aus der Projektion von „Modellen“ bezieht.
Waren die letzten elf Jahre deshalb umsonst? In Nicaragua waren vor der Revolution wenige tausend Menschen in Gewerkschaften, Bauernverbänden usw. organisiert; heute sind es Hunderttausende. Die Besitzverhältnisse auf den Land sind durch die Agrarreform revolutioniert worden. Zehntausende von Tagelöhnern sind zu selbständigen Bauern geworden. Dies und die durch den Sturz Somozas eingeleitete „Entkolonialisierung“ von den USA haben in der Gesellschaft nachteilige Spuren hinterlassen, die es unmöglich machen, daß die neue Regierung heute wieder da anfängt, wo Somoza 1979 aufgehört hat.
Allein die zähe Verteidigung jeder echten Errungenschaft der Revolution macht eine Fortführung der Solidaritätsarbeit notwendig. Und die zahlreichen Projekte und Städtepartnerschaften? Abgesehen von der Erfüllung eingegangener Verpflichtungen, die selbstverständlich sein sollte, bieten sich hier vielleicht bei uns und in Nicaragua Chancen für Lernprozesse jenseits der eingefahrenen parteipolitischen Konfrontationen, die über Nicaragua hinaus Bedeutung erlangen könnten.
Roger Peltzer Der Autor ist Mitglied der christliche
Dritte-Welt-Initiative Oscar Romero in Münster
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