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FASTFICK IM OSTEN

■ Grace Jones in der Werner-Seelenbinder-Halle

„Wenn man ein Buch liest, blättert man auch nicht dauernd zurück. Das Leben hat einen ewig steifen Hals und kann deshalb nicht zurückblicken.“ (Malpertius)

Grace Jones gehört in die beginnenden achtziger Jahre, also in eine im allgemeinen depressive Zeit, in der selbst die Siegesserie der bundesdeutschen Nationalmannschaft unter Jupp Derwall recht freudlos wirkte. Dieser Freudlosigkeit gab das Kunstprodukt damals in „I've seen that face before“, in einem versteckten „Toi aussi, tu deteste la vie“ seinen Ausdruck. In jener ereignislosen Zeit - trotz Punk und allem - sollte sie den öffentlich und privat grassierenden Bedeutungsverlust - irgend etwas sei auf der Ebene der Realität geschehen, mutmaßte man in Frankreich - verschönern oder ihn zumindest tanzbar machen und ihr Leuchten, wenn es denn eins war, sollte das an Schönheit gewinnen, was an innerer Bedeutung verlorengegangen war.

Aber da war nie etwas. Und dieses Nichts an Ausdruck, Stimme, Bühnenpräsenz traf in der hauptstädtischen Werner -Seelenbinder-Halle auf ein recht zahlreiches, westpopmäßig zurechtgemachtes Publikum, das zwischen Westzigarettenständen und Sponsorplakaten wartete und die freundlichen Klub-Kola- und Juice-Stände, eigentlich die gesamte sozialistische Umgebungsarchitektur zur traurigen Kulisse erstarren ließ (aus der nach dem Konzert nur die PDS -Wahlzettelchen schüchtern hervorlugten).

Höflich und nachdenklich begeisterte sich zunächst dann auch das Publikum wie früher nur in der Essener Gruga-Halle, um genauso höflich - ohne viel Pfeifgewese - nach kaum einer Dreiviertelstunde in größeren Teilen abzuziehen.

Grace Jones singt; riesige Boxen beschallen das hölzerne Parkett, auf dem jüngst noch der Senior unter den Berliner Sportjournalisten - Ernst Tomann - der DDR Frauenfußballnationalmannschaft getrotzt hatte. Der Rest ist Playback. Sie sitzt auf einem schwarzledernen Fernsehdrehsessel; läßt sich drehen vom Jamaicasklaven, der ihr zu Füßen liegt; spreizt ab und an gynökölogisch die Beine um irgendwie anzudeuten: Hier geht es um Fetische, Sadomaso und auch gewöhnlichen westlichen Sex. Ständig meint sie sich umziehen zu müssen, glaubt ein nach Hochglanzfleisch gierendes DDR-Publikum vor sich zu haben, das nichts mehr ersehnt, als ihre „Goodies“ zu sehen. DDR -Bürger aber hatten zumindest noch bis vor kurzem die welthöchste Koitusfrequenz und gerade und knapp noch höfliches Interesse an westlichem Peep- und Mindsex.

Grace Jones holt sich zwei gekaufte Ostboys auf die Bühne, die mit ihr tanzen und Sexsimulationen am Rande der Peinlichkeit vorführen. Wenn sie ihre Zunge hervorrollt, so ist das so peinlich wie Ed von Schleck, wenn sie stundenlang über Sex redet, so ist das so aufregend wie mit einer Currywurst arschficken, wenn sie beckenschwingend die Domina oder die Masochistin macht - „Use me“ - so ist das so aufregend wie tagelanges Onanieren.

Sie wirkt nicht älter oder schlechter als sie vielleicht früher einmal war; sicher ist sie sogar fast sympathisch und redet wohl wirklich gerne. Ganz sicher hat sie die ausdruckslos fast peinlich miserabelste Stimme im Popgeschäft, die sie sich sogar traut a capella in den Rest der Menge zu werfen. Wahrscheinlich war sie immer so.

Man könnte vielleicht sagen, daß es ein Schnellkurs für Westsex war, für einen Sex also, der überall, nur nicht im Akt zu finden ist, und in jedem Fall sollte man nie den Betriebssport vorzeitig verlassen.

Detlef Kuhlbrodt

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