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Eingliederung der Sowjetzone ohne Probleme

■ Exportüberschuß der Bundesrepublik erlaubt zusätzliche Importe für den Osten / Im Verteidigungshaushalt kann gespart werden / Alles wie weiland bei der Währungsreform

Obwohl die Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung des heute zerrissenen Deutschland allgemein ist, besteht in vielen Kreisen unseres Volkes, auch unter den Flüchtlingen, die Sorge, daß mit dem Zusammenschluß und den dann erforderlich werdenden großen wirtschaftlichen Anstrengungen eine unerträgliche Senkung des Lebensstandards verbunden sein würde und viele wirtschaftliche Existenzen sowohl von Flüchtlingen im Bundesgebiet als vor allem auch von Gewerbetreibenden in der Ostzone notleidend werden könnten. Es ist in jedem Falle deutlich zu erkennen, daß es dem Laien an Vorstellungsvermögen gebricht, die sich aus dem Zusammenschluß ergebenden wirtschaftlichen Konsequenzen rational abzuleiten, und so bleibt der Spekulation, um nicht zu sagen der dumpfen Furcht, Tür und Tor geöffnet.

Ihnen allen ist eigen, daß sie in der Volkswirtschaft eine „Organisation“ erblicken. Insbesondere geht ihnen jedes Gefühl, jede Einsicht auf die in einem freien Markt zum Ausgleich und Gleichgewicht hindrängenden Kräfte und die damit entfesselte Dynamik völlig ab. Stattdessen glaubt man, wieder einmal so viel wie möglich „organisieren“ zu müssen.

Bei der Beurteilung der sich aus der Aufgabe ergebenden Situation drängt sich geradezu ein Vergleich mit den Problemen auf, die im Jahre 1948 mit der Währungsreform und der gleichzeitig erfolgten wirtschaftspolitischen Umschaltung von der Plan- und Zwangswirtschaft zur Marktwirtschaft zu lösen waren. Gerade ich weiß ein Lied davon zu singen, wie man mir damals mit Hilfe von Statistiken, graphischen Darstellungen, Rohstoffbilanzen, Produktions- und Verbrauchszahlen, Außenhandelszahlen u.a.m. scheinbar schlüssig und rational die Unmöglichkeit der Aufhebung der Bewirtschaftung, der Rationierung und der Preisbindungen beweisen wollte. Von der Schau der Planwirtschaft aus waren diese Zahlen und die darauf gestützten Prognosen zweifellos auch nicht zu widerlegen; angreifbar war allein die geistige Grundlage dieser Konzeption, die den gesellschaftswirtschaftlichen Prozeß lediglich als das Ergebnis oder eigentlich nur als Addition von wirtschaftlichen Zahlen und materiellen Fakten betrifft, ohne die hinter dem Geschehen wirksamen menschlichen Kräfte in das Kalkül einzubeziehen.

Ich stehe jedenfalls klar und eindeutig auf dem Standpunkt, daß die Wiedereingliederung des deutschen Ostens mit den Mitteln und nach den Grundsätzen der Marktwirtschaft erfolgen müsse. Man mag es mir darum auch nicht verdenken, wenn ich der Arbeit der verschiedenen Gremien, die sich vorausschauend mit den Eingliederungsaufgaben befaßten, allenthalben mit Mißtrauen, Skepsis und Sorge begegne.

Als erste Maßnahme wird sich eine Währungsneuordnung in der Sowjetzone, d.h. eine Einbeziehung in unser Währungssystem, als unerläßlich erweisen. Damit vollzieht sich dann zwangsläufig eine Angleichung des Preis- und Lohnniveaus an die in der Bundesrepublik herrschenden Verhältnisse. Man wird dabei auf die Erfahrungen der Währungsreform von 1948 zurückgreifen können und wie seinerzeit der Methode nach die Erstausstattung mit neuem Geld in Form von Kopf- und Betriebsquoten vornehmen. Inwieweit und in welchem Verhältnis im Zuge einer endgültigen Bereinigung die DM-Ost -Anrechnung in DM-West, die dann allgemein gültige Währung, erfolgen kann, bedarf dann noch gründlicherer Untersuchung. Angesichts der völlig verzerrten Zwangswirtschaft und des Wirtschaftsterrors in der Sowjetzone kann über die echte Kaufkraft der Ost-Mark vorläufig unmöglich etwas ausgesagt werden. Mit diesem Prozeß wird dann naturgemäß die wirtschaftliche Lage der Sowjetzone schonungslos offengelegt, und es kann kein Zweifel bestehen, daß das Resultat betrüblich, ja vielfach sogar erschütternd sein wird. Das heißt mit anderen Worten, daß sich daraus schwerwiegende Konsequenzen für die sozialen Verhältnisse der Bevölkerung ergeben können.

Keine Schutzmauer!

Das ist denn auch das eigentliche Problem, die Produktivität der Sowjetzonenwirtschaft so rasch und so energisch zu verbessern, daß der Prozeß der Leistungsangleichung auch zeitlich so kurz wie möglich bemessen werden kann. Gerade hinsichtlich der Bewältigung dieser Aufgabe sind charakteristische Unterschiede der Auffassungen zu verzeichnen. Die einen wollen die Sowjetzone gegenüber der Konkurrenz von außen zunächst abgeschirmt wissen, um der Ostwirtschaft nach einem vorgefaßten Plan in einer bestimmten Stufenfolge Zeit und Ruhe zu jener Leistungsangleichung zu geben, während andere - und zu dieser Gruppe zähle ich selbst - der Auffassung sind, daß dieser unumgänglich notwendige Angleichungsprozeß um so rascher und erfolgreicher vor sich gehen wird, je inniger von Anbeginn an die Verflechtung dieser beiden Wirtschaftsgebiete sein wird, und je mehr private Initiative und Tatkraft sich entfalten können. Eine abgeschirmte Ostwirtschaft wird in der Enge des eigenen Raumes niemals zu der notwendigen Kraftentfaltung kommen und wird zudem der Befruchtung aus der freien Beziehung zum Westen nicht teilhaftig werden können. Daraus erwächst die Gefahr, daß hinter der zweifellos gut gemeinten Schutzmauer ein Wirtschaftsgebilde ersteht, das in seiner Leistung wohl auch erstarken mag, in struktureller Hinsicht aber und in der Ausrichtung der Maßstäbe entbehren müßte, weil sich erst aus den gesamten und umfassenden Beziehungen innerhalb der gesamtdeutschen Wirtschaft die spezifische Stellung und Aufgabe der Sowjetzonenwirtschaft herauskristallisieren kann.

Die Sorge, daß die Sowjetzonenwirtschaft mit der Umorientierung nach dem Westen wegen unzureichender Rohstoffversorgung in ihrer Intensität gehemmt sein könnte, ist unbegründet. Wir sind heute aufgrund der Devisensituation und unserer Guthaben aus Ausfuhrüberschüssen durchaus in der Lage, einen zusätzlichen Import von drei bis vier Milliarden DM zu bewerkstelligen, wobei noch erleichternd hinzukommt, daß uns die Wiedervereinigung ja auch zu Deviseneinsparungen verhelfen wird. Es ist wohl kaum zuviel gesagt, daß die ganze Wirtschaft der Bundesrepublik mit Rat und Tat bereitsteht, um der rückgegliederten Ostwirtschaft die Aufgabe der Leistungsangleichung zu erleichtern. Privates und öffentliches Kapital dürfte in ausreichendem Maß mobilisiert werden können, zumal ohne übertriebenen Optimismus angenommen werden kann, daß dann im Haushalt der Bundesrepublik Mittel für die Verteidigungsleistungen freigesetzt und für den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau der Sowjetzone eingesetzt werden können. Es kann da gar kein Zweifel sein, daß die in der Bundesrepublik vorhandenen Kapazitäten zu solcher Leistung auch ausreichen.

Wie aber steht es mit der künftigen Beschäftigung der Bevölkerung der Sowjetzone? Gewiß wird es auch jetzt wieder Leute geben, die ganz wie vor der Währungsreform aufgrund mechanistischer Verfahren zu erschütternden Prognosen kommen werden. Bekanntlich hat ein wissenschaftliches Institut in Deutschland seinerzeit ein Arbeitslosenheer von fünf bis sechs Millionen Menschen vorausgesagt. Wir können also schon mit einiger Gelassenheit den trüben Prophezeiungen derer entgegensehen, die in ihrer rationalen „Vollkommenheit“ wieder einmal die menschlichen und soziologischen Imponderabilien, die Impulse und Energien vergessen werden, die sich eben nicht auf eine rechenhafte Formel bringen lassen. Gerade die Not der noch unter der Tyrannei lebenden Menschen, ihr Hunger und ihr Mangel an allem, was das Leben lebenswert macht, werden sich aber als eine mächtige, vorwärts drängende Kraft erweisen und der menschlichen Arbeit fast ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten bieten.

Wenn ich mit aller Entschiedenheit der Überzeugung bin, daß der Wirtschaft und der Bevölkerung der Sowjetzone mit einer vermeintlichen Schutzpolitik ein schlechter Dienst erwiesen werden würde, so verkenne ich doch nicht, daß der Wirtschaft des Ostens vom Staate Hilfestellung geboten werden muß. Viel besser aber als leistungshemmende Schutzmaßnahmen erweisen sich produktionsfördernde steuerliche Erleichterungen und Befreiungen. Bei der Höhe der heute auf unserer Wirtschaft ruhenden Steuerlast sind alle und ausreichende Voraussetzungen gegeben, um durch Steuerentlastung, trotz der Leistungsdifferenz, zwischen Ost und West, den Unternehmungen der Sowjetzone zu betriebs-, kosten- und ertragswirtschaftlich gleichartigeren Startbedingungen im Wettbewerb zu verhelfen.

So kommen wir im ganzen zu dem Schluß, daß die allerorts vorherrschenden Befürchtungen hinsichtlich tragischer materieller Rückwirkungen auf menschliche Eigenschicksale hüben und drüben als unbegründet angesehen werden müssen.

Ludwig Erhard, Bundesminister für Wirtschaft, Bonn 1953 (gekürzt)

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