piwik no script img

Ostphantasie

 ■  Seit wir die Mauer nicht mehr haben

lebt Deutschland im Gefühlsgebraus

Seit wir uns an der Einheit laben,

setzt mancherorts das Denken aus.

Im Streit um das besiegte Sachsen

bringt Schwaben einen Kleinkredit.

Zum besseren Zusammenwachsen schleppt Bayern Sachsens König mit

Der 'Spiegel‘ schwärmt vom Preußenstaa

mit einer Reichshauptstadt Berlin;

manch alter Antidemokrat

hat Rudolf Augstein jetzt verzieh'n.

Rat Teltschik hat im Handgepäck

den Einheitsschlüssel mitgebracht,

und kaum ist der aus Moskau weg, wird er am deutschen Rhein bewacht

Gorbatschow seufzt: „Dann kriegt ihr's halt

Ihr Brüder könnt euch alles kaufen.

„Klaro,“ meint Deutschland-Willy kalt

„gebongt! Die Sache ist gelaufen!“

Nun muß selbst Gorbi resignieren, gibt Deutschland seinen müden Segen

in Baku wird man's registrieren beim übernächsten Grenzpfahllegen

Die Grundbesitzer stehen schon in „Mitteldeutschland“ auf der Matte

auch mancher Pommer träumt davon

was Urgroßvater früher hatte. Drum wird jetzt auch die Bundesweh

schon mal zur Oder vorverlegt.

Vorläufig legt sich Genscher quer

er wird wohl bald hinweggefegt.

Kohl will drum keine Garantie

der Oder-Neiße-Grenze geben;

denn heutzutage weiß man nie,

wie lange dort noch Polen leben. In Warschau fragt man bang und klein

„Sind diese Deutschen noch zu retten?

Könnten sie arroganter sein, wenn sie den Krieg gewonnen hätten?

Dieter Schwarz, Weil am Rhein

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen