Standbild: Der rasende Thomas

■ ARD: Wahlhearing II

(ARD: Wahlhearing II, Do. 20.15 Uhr) Ins Kulturhaus Espenhain, mitten ins größte zusammenhängende Braunkohlegebiet der Welt und damit mitten in ein „streng genommen unbewohnbares Gebiet“, so das Neue Forum im Kreis Borna, hatten die ARD ihr zweites Wahlhearing DDR gelegt. Doch die Betroffenen, die in diesem Kreis leben, kamen nur in atemlosen Kurzstatements zu Wort. Von Thomas Kühn gehetzt und in die Enge getrieben, blieben ihnen oft nicht mehr als zwei verstörte Sätze. Als die Espenhainer Kinderärztin Ingrid Koschny mit einigen Zahlen die Vergiftung der Region anschaulich machen wollte, wurde sie, wie viele andere, rüde abgewürgt. Deutschland hat keine Zeit, nicht in der Politik und nicht im Fernsehstudio. Die Ängste und Sorgen der Bevölkerung verkommen zur Garnierung, sie dürfen ein wenig Live-Atmosphäre vermitteln, und das war's dann. Kühn hört niemandem zu, rattert seine Fragen runter und rast zum nächsten. Wehe dem, der in der ersten Reihe sitzt.

Die Politiker Succow (LDP), Pflugbeil (Neues Forum), Szabados (SPD) und Gille (Demokratischer Aufbruch) saßen auf dem Podium und sollten über den ökologischen Ruin und seine Bekämpfung diskutieren. Doch einen Streit unter den Parteien scheint dieser Wahlkampf nicht zu bieten. Alle vier wollen die Vergiftung stoppen - was auch sonst -, wollen Umweltschutz und Arbeitsplätze und haben nach wenigen Wochen aktiver Politik dafür natürlich noch keine Rezepte. Die Kontroverse verlief denn auch eher zwischen Teilen des Publikums und Politik. Vorgeschickte Gewerkschaftssprecher sprachen in alter Manier „im Namen von 6.000 Werktätigen“ und wetterten gegen voreilige Stillegungspläne und einseitige ökologische Entscheidungen. Der alte falsche Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie erlebt in der DDR eine schlimme Aktualisierung.

Immerhin: Zum ersten Mal im DDR-Fernseh-Wahlkampf war auch deutliche Kritik an der Bundesregierung vernehmbar. Succow bezeichnete das Zurückhalten der versprochenen Kredite von Kohl als „unmoralisch“. Energieexperte Pflugbeil sieht mit Angst, wie das BRD-Wirtschaftssystem viel zu schnell „auf uns zucrasht“. Die Chance, die jeder Neuanfang biete, werde verspielt, die DDR drohe von den großen West-Konzernen überrollt zu werden. SPD-Frau Szabados dagegen scheint blauäugig auf dieselben Konzerne zu hoffen: Sie empfahl ihrem Land, schleunigst „die Marktwirtschaft wirken zu lassen“.

Ansonsten: Eine vollgepackte Sendung mit viel zu viel Themen, braven Politikern, ohne Streit, aber mit zweitausend Statements. Man fühlte sich wie bei McDonald's: viel, schnell, billig.

Manfred Kriener