: Alle reden vom Treibhaus - und bauen dran
Die ganz große Klimakoalition kaschiert die faktische Untätigkeit ■ E S S A Y
Der sieche Wald hat es seinerzeit nicht geschafft, der große Knall in Tschernobyl nicht und nach Sandoz auch nicht der zur Kloake mutierte Rhein. Selbst als die Nordsee kippte und Tausende unschuldiger Robben fernsehwirksam für immer ihre traurigen Augen schlossen, blieb die Gesellschaft gespalten. Noch jede große Umweltkrise trieb Ökologen und Umweltschützer auf der einen, Wirtschaft und etablierte Politik auf der anderen Seite in die offene Konfrontation. Abwiegler, Verharmloser schimpften die einen, Aufwiegler, Spinner tönte es zurück. Jedes Jahr würde eben eine neue Sau durchs Dorf gejagt, analysierte einst scharfsinnig der FDP -Graf diese scheinbar naturgesetzliche Form der öffentlichen Katastrophen- und Skandalverarbeitung.
Beim Klima ist alles anders. Spätestens seit die Orkane mit den vielen hübschen Namen im Wochenrhythmus Schneisen der Verwüstung durch halb Europa treiben, gibt es nur noch Aufwiegler. Die Deutschen - ein einig Volk von Klimaschützern. Von der Bürgerinitiative gegen Luftverschmutzung bis zu den Spitzen der Energiewirtschaft, von den Grünen bis zur Union, von taz bis 'Welt‘ - alle erkennen die Schrift an der Wand: Der Planet schlägt zurück. Das Klima kippt, und der Tagesthemen-Kommentator weint die schlechte Nachricht von der bevorstehenden Apokalypse in jedes Wohnzimmer.
Als der Wald starb, erklärten uns die an erster Stelle verantwortlichen Energieversorger, Bäume seien immer schon gestorben. Als die Kinder in der Umgebung von Atomanlagen an Leukämie erkrankten, erklärte uns die Atomwirtschaft, Leukämie gebe es auch anderswo und werde von einem Virus ausgelöst. Als die Robben an den Stränden krepierten, erklärten uns die Dünnsäure-Verklapper, Robben seien auch schon früher verendet. Das Argumentationsmuster der Abwiegler war immer dasselbe: Der Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Umweltgiften und den beobachteten Schäden sei nicht zu führen. Wer Konsequenzen ins Blaue hinein verlange, betreibe Aktionismus und Panikmache. Es bestehe weiterer Forschungsbedarf.
Und Orkane? Hat es nicht schon immer Frühjahrsstürme gegeben? Wo bleiben die skeptischen Fragen nach dem kausalen Zusammenhang zwischen hohen Windgeschwindigkeiten an der Küste der Normandie oder in Magdeburg und dem globalen Treibhauseffekt? Weltweit gibt es nur eine einzige Forschergruppe (aus dem US-amerikanischen Nasa Goddard Institut für Weltraumstudien), die die aktuellen Klimaanomalien eindeutig dem - nicht mehr umstrittenen Treibhauseffekt zuschreibt. Alle anderen, auch die bundesdeutschen, halten sich vorsichtig bedeckt, antworten ausweichend auf entsprechende Fragen. Als Abwiegler allerdings wollen die Klimatologen, insbesondere hierzulande, auch nicht dastehen. Die einen nicht, weil sie verstanden haben, daß Zuspitzung der Sache dienen kann, die anderen nicht, weil sie gelernt haben, daß die Gelder für den eigenen Forschungsgegenstand umso kräftiger sprudeln, je höher die öffentliche Erregung sich aufschaukelt.
Die Energieversorger, die sich bis heute gegen den Zusammenhang zwischen Schadstoffemissionen und Waldsterben oder Smog und Pseudokrupp bei Kindern heftig zur Wehr setzen, stehen auch bei der klimawirksamen Vergiftung der Atmosphäre ganz oben auf der Liste der Verursacher. Aber dieses Mal protestieren sie nicht. Des Rätsels Lösung ist so einleuchtend wie banal. Wer hierzulande in Großkraftwerken Kohle zu Kohlendioxid verbrennt, betreibt auch Atomkraftwerke, aus deren Schloten alles mögliche kommt, aber eben (fast) keine Treibhausgase. Schon 1986 wandte sich der „Arbeitskreis Energie“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) mit einem damals aufsehenerregenden Memorandum an die Öffentlichkeit. Kernaussage: „Die Klimaänderungen sind - abgesehen von einem Krieg mit Kernwaffen - eine der größten Gefahren für die Menschheit“. Der Arbeitskreis hatte sich zuvor umbenannt. Früher hieß er „Arbeitskreis Kernenergie“.
Seit Jahren vergeht keine Tagung der nationalen oder internationalen Atomgemeinde ohne einen oder mehrere Festvorträge zum Thema Treibhauseffekt. Inzwischen, alle namhaften Professoren haben mindestens einmal vorgebetet, scheut die Zunft nicht mal mehr davor zurück, zum Beleg drohenden Unheils auf ihre Erzfeinde aus dem Öko-Institut zurückzugreifen. Manchmal entsteht der Eindruck, man habe sich versehentlich auf einen Metereologenkongreß verlaufen. Und es wird kräftig auf die Pauke gehauen. Wenn sich das Klima hochschaukelt, könnten hier bald „Zustände wie auf der Venus“ herrschen, erklärte schon 1988 der Bonner Physikprofessor Klaus Heinloth seinem von Gruselschauern befallenen Auditorium aus der einschlägigen Zunft. Die mittlere Temperatur auf der Venus beträgt gut 400 Grad Celsius. „Panikmache“ hat da niemand gerufen - auch nicht die Amtsinhaber in Bonn. Im Gegenteil: Auch im Bonner Parlament tut sich Erstaunliches. Die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ arbeitet bis hin zur CDU/CSU mit viel Engagement und - wenn nicht gerade Atomkraft oder Tempolimit auf der tagesordnung stehen ausgesprochen konstruktiv zusammen.
Ich höre schon die Fragen: Wozu die Aufregung? Kann es denn schaden, wenn da ein paar Energie- und Politfuzzis (vergeblich) ihr atomares Süppchen auf der doch realen Gefahr einer weltweiten Klimakatastrophe kochen? Ist es nicht sogar von Vorteil, wenn endlich einmal alle an einem Strang ziehen? Natürlich. Aber sie tun es nicht.
Die allseits mit zerfurchter Stirn und viel Pathos vorgetragenen Erklärungen der Vertreter unserer hochkonzentrierten Energiewirtschaft sind reine Geste. Tatsächlich zeigt sie keinerlei Interesse an einer effizienteren Energienutzung. Mit Händen und Füßen wehrt sie sich gegen die Dezentralisierung, die Rekommunalisierung der Stromwirtschaft, die allein die Voraussetzung für den Bau von Heizkraftwerken, Fern- und Nahwärmenetzen schaffen kann
-und damit für die Reduzierung der Kohlendioxidbelastung der Atmosphäre. Die Bonner Regierung denkt über Wärmedämmprogramme, über die Förderung der Fernwärme nicht mal nach. Das Wirtschaftsministerium sperrt sich seit Jahren gegen wirksame Markteinführungshilfen für erneuerbare Energien, insbesondere die nach volkswirtschaftlichen Maßstäben längst konkurrenzfähige Windenergie. Energie, insbesondere Benzin, soll trotz explodierenden Verbrauchs nicht teurer werden. Nichtmal die Forderung nach einem Tempolimit als allseits verständliches Signal zur Entlastung der Atmosphäre hat unter diesem Verkehrsminister eine Chance. Der will statt dessen den Tempowahn ungebremst Richtung Osten exportieren.
Die ganz große Koalition der Besorgten und die öffentliche Erregung über den milden und stürmischen Winter stehen also im merkwürdigen Gegensatz zum tatsächlichen energiepolitischen Stillstand. Die These lautet: Beides hat etwas miteinander zu tun. Öffentlich entsteht der Eindruck, wenn alle besorgt den Finger in den Wind halten, werden sie die Zeichen der Zeit nicht nur erkennen, sondern auch entsprechend handeln.
Nichts ist so müßig, wie die Diskussion, ob aktuelle Klimaanomalien schon etwas mit dem Treibhauseffekt zu tun haben oder noch nicht. Jedes denkbare Ergebnis ändert nämlich nichts daran, daß jetzt gehandelt werden muß. Das Klima reagiert so träge wie die Bonner Politiker. Was heute die globale Temperatur erhöht (und Orkane auslöst oder auch nicht), haben wir vor 20 oder 30 Jahren in die Luft geblasen.
Da kommt beinahe Sehnsucht auf: Sehnsucht nach den Öko -Kontroversen der Vergangenheit, die immerhin klar machten, wer da bremst und wer da drängelt.
Gerd Rosenkranz
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