: UdSSR plant Atomtests vor norwegischer Küste
Atombombenversuche sollen aus der Wüste von Kasachstan auf die Insel Nowaja-Semlja im Barents-Meer verlagert werden / Nur 800 Kilometer von der Provinz Finnmark entfernt / Heftige Proteste in Norwegen und auf der Kola-Halbinsel ■ Aus Kirkenes Reinhard Wolff
„Das ist doch eine absolute Provokation!“ Hakon Hallström ist Verantwortlicher für den Katastrophenschutz in der Provinz Finnmark und deshalb auch von Berufs wegen empört: „Wenn irgendetwas bei einer Sprengung schiefgeht, ist doch ganz Nordnorwegen strahlenverseucht.“ Johan Pauli, Direktor beim norwegischen Institut für Strahlensicherheit sieht das ganz ähnlich. Seine Forderung an die Regierung lautet, „alles zu unternehmen, um diese Pläne zu stoppen“.
Diese Pläne: Die Sowjetunion will ihre Atombombenversuche künftig auf der im Barents-Meer gelegenen Insel Nowaja -Semlja stattfinden lassen. Dies, nachdem sich offenbar im bisherigen Testgebiet von Kasachstan die Proteste aus der Bevölkerung so gehäuft haben, daß eine Verlegung politisch unumgänglich wurde. Die Insel Nowaja-Semlja ist nur 800 Kilometer vom östlichen Teil der nordnorwegischen Provinz Finnmark entfernt, wo unmittelbar nach Bekanntwerden der sowjetischen Pläne in der vergangenen Woche ein wahrer Proteststurm losbrach. Oddrun Pettersen, Reichstagsfrau der Finnmark Arbeiterpartei, versprach, sich im fernen Oslo umgehend gegen die Bedrohung einzusetzen. Sie mußte die Regierung nicht lange bitten: Das Thema der radioaktiven Gefahren aus dem Osten ist nach dem Tschernobyl-Trauma und den Beinahe-Katastrophen mit sowjetischen Atom-U-Booten vor der Küste des Landes so heiß, daß ein Protest von Regierungschef Syse an die Adresse der Sowjetunion nicht auf sich warten ließ.
„Wenn die Atombombenversuche so ungefährlich sind, wie die Sowjets behaupten, warum bleiben sie dann nicht in der Wüste von Kasachstan?“ Auf Nowaja-Semlja ist schon in den sechziger Jahren mit Atombomben experimentiert worden. Inwieweit diese Sprengungen damals zu erhöhter Radioaktivität in Nordskandinavien führten, ist nie hinreichend erforscht worden. „Wenn es einen Unfall gibt und wir haben großes Glück, müssen wir 'nur‘ 150.000 verseuchte Rentiere schlachten und verbuddeln. Und wenn wir Pech haben?“ Katastrophenexperte Hallström will es sich nicht ausmalen: „Bei so einem Winterwetter wie jetzt brauche ich die Schublade mit den Evakuierungsplänen gar nicht erst aufzuziehen.“
Was denn das nun wieder für ein Signal in diesen angeblichen Entspannungszeiten sei, grübelt Oyvind Ravna bei der vierten Tasse Kaffee und schaut hinaus in den Schneesturm, der die Dämmerung noch schneller hereinbrechen ließ, als sowieso schon. Erst letzte Woche war er als Delegierter des Naturschutzverbands von Vadsö hinüber in das sowjetische Murmansk gefahren. Über 200 Teilnehmer aus Norwegen, Schweden und Finnland hatten sich mit sowjetischen Naturschutzverbänden zu einer Konferenz getroffen. „Ich hatte ein unheimlich gutes Gefühl, zu sehen, welch starke Naturschutzbewegung es mittlerweile dort gibt.“
Die Halbmillionenstadt Murmansk liegt noch ein Stück näher zu Nowaja-Semlja, als die Provinz Finnmark mit ihren knapp 70.000 Einwohnern. Oyvind kann es sich gar nicht anders vorstellen, als daß sich auch in Murmansk und auf der ganzen Kola-Halbinsel ein Sturm der Empörung über die Pläne aus Moskau erheben wird. „Ganz viele haben doch schon Angst vor den atomaren Kriegsschiffen und U-Booten, die in unmittelbarer Nähe der Stadt in den Basen liegen, oder auf den Trockendocks in der Stadt.“
Erling Osterbo, Physiker an der technischen Hochschule in Trondheim ist weit weniger optimistisch, was einen gemeinsamen Widerstand gegen die Pläne Moskaus betrifft. Er war in Murmansk auf einer Veranstaltung mit dem Informationschef für die Atomkraftwerke auf der Kola -Halbinsel. „Er hat etwas erzählt von Strahlenmessungen, die in den letzten 15 Jahren vorgenommen worden sein sollen und dabei Zahlen genannt, die einfach nicht stimmen können. Es ist nicht nur ein dummes Gefühl, wenn man weiß, daß man an der Nase herumgeführt wird, es spricht auch für mangelndes Bewußtsein für die Gefahren mit der Atomkraft überhaupt.“
Für Oyvind sind Leute wie dieser Informationschef nicht repräsentativ für eine verbreitetere Grundhaltung in der Sowjetunion. „Aber“, sagt er, „es ist schon die Frage, ob der Druck hier im Norden genügt, um das Vorhaben zu stoppen. Alle, eben auch die USA, müßten endlich mit diesen Atombombensprengungen aufhören. Das ist die einzige wirkliche Lösung.“
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