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„...und vor allem ist das auch für die innerdeutsche Diskussion ein wichtiger Punkt“

Bayern bringt Schwangerschaftsabbrüche nach der Notlagenindikation vor das Bundesverfassungsgericht  ■ I N T E R V I E W

Udo Steiner ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Regensburg. Die Juristen der bayerischen Staatsregierung haben sich wegen der Ausarbeitung der Klageschrift für eine Normenkontrollklage gegen den Paragraph 218 an Steiner gewandt. Der 50jährige Familienvater tritt jetzt auch als Klagevertreter des Freistaats vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe auf.

taz: Bereits 1984 wurde die Klage einer Dortmunder Katholikin gegen Abtreibung auf Krankenschein vom Verfassungsgericht nicht zugelassen. Wieso glauben Sie, mit dieser Klage jetzt mehr Chancen zu haben?

Prof. Steiner: Diese Versuche, auf anderen Wegen an das Bundesverfassungsgericht heranzukommen, waren nicht tauglich. Der einzige Weg ist eben die Normenkontrollklage. Eine einzelne Person kann jedoch kein Normenkontrollverfahren anstreben.

Warum, glauben Sie, hat die CSU, der Freistaat, diese Klage, mit der die bayerische Staatsregierung seit etlichen Jahren gedroht hat, gerade zu diesem Zeitpunkt erhoben?

Es hat in den Kreisen der CSU immer diese Überzeugung gegeben. Daß es jetzt dazu gekommen ist, hat meiner Meinung nach auch mit der besonderen religiösen Einstellung von Herrn Streibl zu tun. Außerdem gab es auch einen ziemlich großen Druck der Basis, der immer größer wurde. Gruppen wie die katholische Gruppe „Lebensrecht“ etwa wollten diese Fragen endlich klären lassen. Und vor allem ist das auch für die innerdeutsche Diskussion ein wichtiger Punkt. Wir schieben ja das Problem sonst nur vor uns her. Das ist keine Klage von Fundamentalisten, sondern der Versuch, in dieser Frage, die sicher schwierig ist, den Mittelweg durchzusetzen. Das Beratungsverfahren muß mehr für den Lebensschutz funktionieren, so wie es jetzt läuft, finanzieren wir Abtreibungen ohne Rücksicht auf die finanzielle Situation.

Aber werden dadurch nicht wieder die sozial und finanziell schwächeren Frauen bestraft?

Abtreibung ist nicht mehr schichtenspezifisch. Wenn 87 Prozent der Fälle über soziale Indikation laufen, dann ist klar, daß die allerwenigsten es aus materieller Not heraus tun. Für wirklich finanziell Schwache kann die Sozialhilfe einspringen. Aber im Moment ist es so, daß wir einen Automatismus haben und die soziale Indikation immer mehr wird. Außerdem ist die Klage nicht ohne Frauen, sondern zusammen mit Frauen formuliert. Es ist also keine Männerklage. Die Frauen aus dem bayerischen Sozialministerium haben dabei eine große Rolle gespielt. Sie haben sich auch dafür ausgesprochen, daß das Beratungsverfahren nicht institutionalisiert, also nicht aus dem privatärztlichen Bereich herausgenommen wird, sondern daß es bei der privatärztlichen Beratung bleibt, die Frauen also nicht vor ein anonymes Gremium müssen. Es gab da nämlich noch ganz andere Wünsche, die in diesem Zusammenhang an die Staatsregierung herangetragen wurden.

Hat die Klage zu diesem Zeitpunkt nicht auch mit wahltaktischen Überlegungen zu tun?

Das liegt zwar nahe und sieht sicher so aus. Die CSU hat ja drei Wahlen in diesem Jahr, aber das politische Risiko ist nicht ganz erfaßbar. Mit diesem Thema wird man nur eine gewisse Klientel zufriedenstellen, eine andere jedoch verlieren. Eine Partei wie die CSU kann sich aber nicht ganz verschweigen, sonst gibt man sich weltanschaulich und moralisch auf. Man kann nicht immer nur sagen, wir sind Christdemokraten. Ich glaube aber auch, daß Herr Streibl persönlich hinter dieser Klage steht. Er ist nicht nur ein Technokrat. Da ich nicht katholisch bin und nicht CSU -Mitglied, passe ich eigentlich nicht in das Klischee dieser Klage. Ich bin kein CSU-Jurist. Man kann also auch nicht sagen, das ist eine Kaplans- oder Bischofsklage gewesen. So eine Klage erfordert auch politischen Mut.

Wie geht es jetzt mit der Klage weiter, wie lange wird es bis zu einer Entscheidung dauern?

Das BVG wird jetzt ein Beteiligungsverfahren eröffnen. Das bedeutet, daß alle, die dazu etwas zu sagen haben - also Bundestag, Bundesregierung und die Länderregierungen angeschrieben werden. Dieses Beteiligungsverfahren wird sich mindestens dieses Jahr noch hinziehen. Ich rechne damit, daß dieses Jahr allein über dem Einholen der Stellungnahmen vergeht. Außerdem bin ich mir gar nicht sicher, ob die Bundesregierung noch in diesem Jahr die politische Kraft aufbringt, sich zu äußern. Dieses oder nächstes Jahr wird es also keine Entscheidung geben. Aber vielleicht schaffen es ja die Politiker, daß das Beratungsgesetz doch noch geändert wird. Die Klage könnte ein Anstoß dafür sein. Und vielleicht setzt das Bundesverfassungsgericht ja die Politik unter Entscheidungsdruck, wie etwa beim Finanzausgleich der Länder. Das wäre eine mögliche Entwicklung.

Interview: Luitgard Koch

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