: GESPENSTERGESTECK
■ „Phönix“ von Marina Zwetajewa in der Schaubühne
Es soll wohl Marina Zwetajewa sein, die, in weichem Sepiabraun und nur bis zum Brustansatz erhellt, von der Bühne blickt wie aus einer alten Photographie. Zurückversetzt an den Flügel, von dem weg sie sich zu Lebzeiten in die Poesie flüchtete, muß sie, die Dichterin, in Klaus Michael Grübers Inszenierung den Zuschauer einstimmen auf das von ihr 1919 geschriebene Stück Phönix.
Wenn sie mitsamt dem Flügel von der Bühne gezogen ist, tut sich ein dämmriges Schloßinterieur auf, das jenem ähnlich sein muß, welches der Prinz erblickte nach seiner Durchdringung des Dornröschenwalds. Eine wächsern bleiche und halberstarrte Hofgesellschaft spricht ihre Toasts auf „längst vergangener Tage Rosen“ und „des heutigen Tages Rosen“ und „aller künftigen Sommer Rosen“. Hinter Orangengestecke drapiert und in rotes Licht getaucht, das aus einem blutunterlaufenen Gottesauge herniederflutet, haben die Akteure so viel Bewegungsspielraum wie Rokokoschnörkel; das einzige, was unkontrolliert funkelt, sind die Krönchen der „französischen Dame“ und der „polnischen Dame“, mit bunten Lichtern bestückt. Die in der Manier von Rezitativen eher hauchend gesungenen als gesprochenen Aper?us lassen sich auf den Orangengestecken nieder und „die Erscheinungen uralter Großmütter“, die von den Wänden herabblicken, „werden hier und da von der untergehenden Sonne zum Leben erweckt“.
In dieser wieder in Dornröschenschlaf versinkende Tischgesellschaft brummt wie ein geborstenes Cello das Gespenst Casanova in der Gestalt des Gespenstes Bernhard Minetti hinein. Wie ersterer sich im ausgehenden 18. Jahrhundert überlebt hatte, so letzterer in der Theaterlandschaft der Gegenwart. Dieser „Ausgeburt des Teufels“ will keiner in der Tischrunde Platz machen; Fürst de Ligne (Walter Schmidinger), dessen „Grazie Casanovas Furie in nichts nachsteht“, bittet ihn daher an einen extra Tisch mit der Bemerkung: „Der Garten Eden wird ohne den polaren Schnee noch schöner blühen“. Vom ewigen Eis kommt allerdings ziemlich viel rüber, von Grazie und Furie nichts. Wie aus einer Gruft weht es einen an, wenn Casanova näselnd und röchelnd von den einst goldenen Zeiten spricht, da er mit Bischöfen und Diplomaten tafelte, und einen gichtigen Alten vorstellt, der, abhängig von der Gunst des Schloßherrn, nurmehr genug Kraft besitzt, um den gefeierten Hofdichter Viederole (Udo Samel) zu schmähen und die Tischgesellschaft mit einer schaurigen Schilderung aus seiner Kindheit nach und nach in die Flucht zu schlagen. Der gewaltige Schatten, den er an der Wand hinter sich erzeugt, macht ihn zu seinem eigenen steinernen Gast, der doch plötzlich noch etwas von dem Blut in sich hat, von dem er so viel spricht.
Die zweite Szene spielt in luftiger Höhe. Wenn das erste Bild die Vorhölle war, dann ist das zweite der Himmel. Blaues Licht und eine leichte Stahlkonstruktion, unter welcher Casanova sitzt, alte Liebesbriefe zerknüllt und „mit Venus abrechnet“. Über seinem Kopf landet ein Engel (Karoline Eichhorn), ganz Unschuld, ganz „visionäre Kraft im Unwissen“, ein Käthchen und ein Rumpelstilzchen zugleich, wie sie mit den Füßen stampft und ihr Teil einfordert vom Alten, in kurzen Hosen und rotem Haar und ganz wild, ein Försterhauswaisenkind. Sie will den Alten lieben, sie hat ihm seine Hemden gestopft, sie will mit ihm nach Venedig fahren - ein immer peinlicher werdendes Gegenüber von Kultur und Natur oder Stock oder Gummiball. Wenn Casanova von seinem Venedig schwärmt, schiebt sich sein Kinn so weit nach vorn, daß es selbst einer Gondel gleicht. Franziska indes sieht nur seine Augen und schwärmt in sie hinein, will ganz seine Frau werden, richtet ihm den Abendbrottisch und schlägt an den Weinpokal, klingelingeling, doch Casanova wird nach einem kurzen Leidenschaftsschrei wieder knöchern, und so schläft sie zuletzt einfach ein. Der Diener (Michael König) meldet, daß alles zur Abreise bereit sei, Casanova schlüpft in seinen zerschlissenen Reisemantel, „darin haben Tausende von Frauen in Glut gebrannt“, und macht sich auf die letzte Reise, hoffentlich endgültig diesmal, Commendatore Minetti, auf ewige Nimmerwiederkehr!
Michaela Ott
„Phönix“ von Marina Zwetajewa, Regie: Klaus Michael Grüber, Bühne: Francis Biras, Kostüme: Moidele Bickel, Musik: Peter Fischer.
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