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Ein Klappstuhl für den Messias

■ Westdeutsche Erstaufführung von Christoph Heins „Die Ritter der Tafelrunde“

Im Pressegespräch wurde Christoph Hein von einer Journalistin gefragt, ob die nun schon übliche Interpretation des Stückes als eine Parabel auf die alte DDR sich nicht aktualisieren ließe: Sie habe bei der Tafelrunde „sofort an den Runden Tisch gedacht“. Der Dichter gab lächelnd zurück, das bedeute für ihn schon eine unzulässige Abwertung, und prompt kam aus der Runde die nur halb scherzhaft gemeinte Nachfrage: Abwertung wovon?

Nach dem Theaterabend war die Antwort klar. Der Runde Tisch in Kassel (auf der Bühne von Hans Georg Schäfer) bot derart müden und abgewrackten Gestalten Platz, daß jede nur denkbare Besetzung des Gegenstücks in Ost-Berlin wie eine kompetente, dynamische Männervereinigung wirken muß. Wäre das Pressegesprächnach der Premiere gewesen, die zitierte Frage hätte sich erübrigt und eine andere wäre gestellt worden: „Haben Sie es sich so vorgestellt?“

Ich schätze: nein. Gewiß ist die Brisanz ostdeutscher Aufführungen desselben Sückes nicht wiederholbar. Selbstverständlich fehlt die angespannte Stille, in der Sätze wie: „Es gibt keine Gesetze, die die Zukunft festlegen“ wirken konnten wie eine Verheißung an der Zündschnur, und es gehörte eine gehörige Portion Blasphemie dazu, dieser Stille nachzutrauern. In der heutigen, der BRD -Stille, hören die Ohren anders hin, verwöhnter, ein bißchen lüstern nach Geschichte, aber auch randvoll guten Willens, sich zu amüsieren: Pech gehabt.

Männer verwalten ein gestorbenes Reich. Christoph Hein nahm sich den literarischen Topos des König Artus und seiner sagenhaften Tafelrunde vor, um eine Ideologie aufs Korn zu nehmen, welche die Gegenwart bestimmt, die Theorie der „großen Jahre“: Bedrohung von außen, Gefahren des Bürgerkriegs, Überlebensnot, schmerzliche, aber notwendige Entscheidungen, Opfer für eine gerechtere Ordnung, bla bla bla. Die zornigen jungen Männer (hier: Parzival und Mordret) revoltieren politisch (Parzival als Journalist, Mordret als Punk im Innendienst), die jungen Frauen (hier alleine: Kunneware) pochen auf Lebensqualität und Aufhebung des Stammtisches. Die Ideologie der großen Jahre ist als eine Variation des Generationenkonflikts natürlich auch in der BRD bekannt und war vor allem in der Nachkriegsliteratur ein großes Thema. Jetzt hat sie hierzulande an Offensivität eingebüßt, wie auch ihre GegnerInnen die innere Emigration dem lautstarken Protest vorziehen und die alten Stalingradgeschichten ebenso an Bedeutung verlieren wie die Durchhalteparolen der Fünfziger Jahre. Und natürlich gewinnen sie an Schärfe, wenn ihr nichts entgegengesetzt werden kann - wie eben in der DDR bis vor ziemlich kurzer Zeit.

Männer verwalten ein gestorbenes Reich. Sie sind so alt geworden wie ihre Frauen, sie saufen zuviel, sie denken zuwenig, und sie verlassen ihre Führungsenklave zu selten, um aus dem Protest, der ihnen auf kurzen Joggingläufen schon zu Ohren kommt, mehr herauszuhören als alternativlose Unzufriedenheit. Sie jammern über die schlaffe junge Generation, die nicht mehr zu schätzen weiß, was Ruhe und Ordnung und genug Brot und Wasser für alle bedeutet, sie klagen darüber, nicht mehr ernst genommen zu werden, nicht einmal von ihren eigenen Kollegen: Der eine hat sich abgesetzt in ein fremdes, komfortables Land, der vergeblichen Suche nach dem Gral müde geworden, der andere kommt von einer Reise mit demselben Ziel verdächtig lange nicht zurück... Man macht sich Mut und hält die alten Fahnen hoch, aber es weht kein Lüftchen mehr, in dem sie flattern könnten. Der lange vermißte Lanzelot, der Ruhmreichste seiner Zeit, kehrt schließlich von der Gralssuche zurück, in zwei Jahren um das Zehnfache gealtert, vor Enttäuschung stumm geworden. Die letzte Hoffnung scheint dahin und ermöglicht doch dem ehrenwerten Artus noch eine dialektische Wendung: Er, der von Beginn an sich als Liberaler gab, setzt nun auf die Jugend und hebt die Tafelrunde auf: „Wenn dieser Tisch uns daran hindert, den Gral zu erreichen, sollten wir ihn dann nicht besser zerbrechen? Oder zumindest begreifen und akzeptieren, daß die, die nach uns kommen, sich auf unseren alten Stühlen nicht niederlassen wollen.“

Der Gral, die größte Hoffnung, von alters her ein vieldeutiges Symbol, wird auch in diesem Stück nicht benannt. Nur Brot und Wasser kann es nicht gewesen sein, das sagen auch die Verweser dieses Reiches der Notwendigkeit, die bescheiden mit Kaffee und Korn prassen wie weiland die Herren in Wandlitz: „Solange Menschen leben, werden sie auf der Suche nach dem Gral sein“, verkündet der weise Artus: „Nur die Tiere können ohne ihn auskommen, weil sie nicht wissen, daß sie sterben müssen.“ Die religiöse Konnotation des Grals zeigt sich auch in dem leeren Stuhl an der Tafelrunde, freigehalten für einen, der seiner würdig ist und den noch niemand kennt: ein Klappstuhl für einen Messias.

Wie der Gral sind auch die Ritter mehrdeutiger Natur. Nichts deutet darauf hin, daß sie ihr Reich ausbeuten, nichts brutalisiert ihren Müßiggang. Sie haben Dreck am Stecken, von alten Kämpfen ist die Rede, in denen viele ihr Leben lassen mußten - aber wem der alten Kämpen traut man so etwas noch zu? Selbst Scharfmacher Keie, der in Kadermanier verbissen der Aufrüstung das Wort redet, wird im allgemeinen ennui überhört.

Die Kasseler Inszenierung folgt dieser Tendenz zu dem, was wir als eigentlich harmlos empfinden, rückhaltlos und exzessiv. Keie sieht aus wie ein Opelvertreter und spricht über das Reich wie über eine sanierungsbedürftige Firma, Orilus ist ein joggendes Dickerchen, das die Welt nicht mehr versteht, Parzival mimt den existentialistischen Linken mit Tennisracket und Photoapparat, seine Freundin Kunneware trotzt als schönes Dummchen durch das Spiel, Mordret schwankt zwischen Adoleszenzkrise und Pubertätsaggression und Artus - Artus tritt auf wie der pensionierte Rektor eines humanistischen Gymnasiums, trägt einen grauen Anzug und einen ebensolchen Gesichtsausdruck, ist freundlich und ein bißchen tüttelig und würde von jedem headhunter als Führungskraft abgelehnt. Die Ritter tragen alle ein Versatzstück ihrer Bestimmung an der Zivilbekleidung, der eine eine eiserne Weste, der andere eine blecherne Schulter

-ein Haufen komischer Figuren. Mit Persönlichkeit sind allenfalls die Ehefrauen bekleidet, die sich souverän und müde (als Ginevra: Heidi de Vries) oder sinnlich-renitent (Jeschute: Sabine Wackernagel) über die trüben Zeiten zu erheben wissen.

Der Text gibt den Personen nicht viel Spiel. Er ist sprachlich von äußerster Schlichtheit und weist nur einen dramatischen Höhepunkt auf: Als (am Ende des zweiten Akts) Lanzelot von seiner Gralssuche zurückkehrt und die Hoffnung aller sich auf ihn richtet - und zerfällt. Von dort an geht's bergab, auf derselben schiefen Ebene, auf welcher die Figuren von Anfang an gemütlich in den Abgrund rutschen. Einer nach dem anderen verläßt die Runde mit sich ähnelnden Sätzen, bis am Schluß Mordret die Stühle hochstellen kann wie in einer Kneipe - nur der Freistuhl für den Erwarteten bleibt stehen: „Du wirst viel zerstören“, sagt der zurückgebliebene Artus, und Mordret antwortet: „Ja, Vater.“

Es ist ein langsames Sterben.

Elke Schmitter

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