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Wer nicht im Streß pflegt, wird aufgelöst

■ Kinderklinik Neukölln: Weil eine Station nicht völlig ausgelastet ist, soll sie aufgelöst werden / Der Personalrat befürchtet danach mehr Streß und eine Verschärfung des Pflegealltags / Noch ist unklar, welche Funktion das Krankenhaus künftig übernehmen soll

In Neukölln gibt es - welch ein Glück - zu wenig kranke Kinder. Dies folgt zumindest aus der Krankenhausbilanz: Die Stationen der Kinderklinik des Städtischen Krankenhauses Neukölln seien, so die Verwaltungsleitung, zu gering ausgelastet. Die Schließung der Station 61 der Kinderklinik soll nun die Folge dieses Mangels an kranken Kindern sein; ein Vorhaben der Verwaltung, das beim Klinik-Personal auf Widerstand stößt.

Volker Gernhardt, Mitglied des Personalrats, trägt seine Bedenken an einer Schließung deshalb auf der heute stattfindenden Neuköllner Krankenhauskonferenz vor. Gernhardt befürchtet, daß die Verwaltung medizinische Aspekte hinter die wirtschaftlichen stellt: „Vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet“, sagt er, sei eine Stationsschließung nicht gerechtfertigt. Folge, befürchtet Gernhardt, wird eine Personaleinsparung sein. Dies ist für ihn ein Fehler bereits in der Finanz-Diagnose der Verwaltung: „Das bisherige Finanz-Defizit ist durch Sachkosten und durch Schlamperei in der Finanzierungsplanung entstanden - und nicht durch Personalkosten“. Der Rotstift setze nun aber zuerst beim Krankenhaus-Personal an.

Für Dietmar Lotzkat ist eine Belegungsquote von jahresdurchschnittlich gut 60 Prozent (angestrebt werden 75 Prozent) Grund genug für eine Schließung. Dabei seien ohnehin „keine Entlassungen“ geplant; er gebe sogar eine „Beschäftigungsgarantie“. Lotzkat möchte das Personal und die Arbeit der Station 61 nur auf andere Stationen der Klinik umverteilen. „Einsparungen“, so räumt der Verwaltungschef ein, „werden dann durch wegfallende Neueinstellungen erreicht“.

Und genau hier liegt für Volker Gernhardt das Problem versteckt. Eine Streichung von Ersatzleistung (zum Beispiel für Krankheitsfälle, Mutterschaftsurlaub oder Kündigungen) würde zu einem „Qualitätsverlust in der Krankenpflege“ führen und zu dem „Verheizen von Personal“. Anzeichen für eine Misere gäbe es bereits: „Auf Station 99 sind zehn Betten wegen Pflegekräftemangels gesperrt“, berichtet Gernhardt, und auf Station 26 hätten bereits einmal Pflegekräfte gemietet werden müssen, um eine ordentliche Pflege zu sichern.

Bodo Manegold, Stadtrat für Gesundheit und Umweltschutz des Bezirksamtes Neukölln, weiß vom allgemeinen Personalmangel. Er könne aber in den Entschluß der Krankenhausleitung nicht eingreifen. Manegold hat jedoch „gebeten, die nächsten Monate abzuwarten. Unter Umständen“, so der Stadtrat, „kommen durch die neue politische Lage zusätzliche Anforderungen auf die Klinik zu.“

Genau andersherum argumentiert auf Grund dieser geographischen Lage die Sprecherin der Senatorin für Gesundheit und Soziales, Rita Hermanns: Zur Zeit werde der „Bedarf der Ostberliner Krankenhäuser analysiert. Dort können in Zukunft unter Umständen Kliniken genutzt werden“. Entscheidend sei jedoch die geringe Auslastung der Stationen. Da diese nicht ausreiche, so auch Gesundheitssenatorin Stahmer auf eine Kleine Anfrage hin, stehe sie hinter der Kürzungsentscheidung der Krankenhaus -Verwaltung. „Schließlich sind Krankenhäuser gehalten“, sagt Sprecherin Hermanns, „wirtschaftlich zu arbeiten.“

Martin Schrader

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