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GOLD GLÄNZT UND GLÄNZT UND...

■ Bejarts „Ring um den Ring“ in der Deutschen Oper Berlin

Sagte der Meister Maurice Bejart im Pressegespräch am Nachmittag nach seiner Interpretation des Mythos der Nibelungen befragt, sein Spektakel Ring um den Ring sei nie banal, absurd oder parodistisch; Tanz und Musik bedeuteten für ihn eine heilige Kunstsprache - wobei die Dolmetscherin das französische Wort „sacre“ vorsichtig in ein bescheidenes „seriös“ korrigierte. Doch das sagte er. Der spitzbärtige, alte Faun Bejart und sein Gehilfe bei Szenarium und musikalischer Dramaturgie, Philippe Godefroid, betonten, daß sie, je mehr sie sich in den Tiefen des Rings verloren hätten, desto weniger seine Bedeutung erklären könnten. Sie traten auf wie Initiierte, noch sprachlos und überwältigt vom Erleben. Sicher sei einzig, daß Wotans Welt am Ende untergehe, orakelten sie, als hätten sie die Allerweltsweisheit der Göttin Erda - „Alles was ist, endet“

-soeben als persönliche Erleuchtung erfahren. Bejart hat im schöpfenden, machtbesessenen und schließlich verzichtend geläuterten Gott Wotan, das Alter ego seiner selbst als Choreograph auf die Bühne gebracht; er spiegelt sich in dessen Größe und der tragischen Erkenntnis der Vergänglichkeit.

Alles endet, zumal jedes Ballett, schnell verfliegende Kunst, doch manches eben erst nach viereinhalb Stunden. Wotans weiser Weltverzicht wird bis an die Grenzen der physischen Erschöpfung - vor und auf der Bühne hinausgezögert; bis dahin läßt der Choreograph die Puppen tanzen und hetzt durch das Epos. Eine Dramaturgie der aneinandergereihten Höhepunkte, der Momente der Ruhe oder Konzentration fehlen, verkommt zur spannungslosen Leistungsschau. Wagner als langatmige Revue. Das läßt unberührt wie jedes Potpourri beliebter Melodien.

Da reitet das Heer der Walküren in engen, glänzenden Lattexhosen, flügelbehelmt und schildgeschützt, hüftschwingend und auf Spitzenschuhen heran. Die Diva Brünnhilde krönt die Menschenpyramide soldatischer Tänzer in Vietnam-Tarnhosen, die ekstatisch die Hände zu ihr empor recken und die Unerreichbarkeit der jungfräulichen und begehrten Heldin markieren. Siegmund und Sieglinde, die in ihrer Geschwisterliebe gegen das Gesetz der Götter verstoßen, schwingen die Jeans einer Revoluzzergeneration. Kaum träumt Siegfried vom Lenz, schon schweben die Elfen ein.

Falsch wäre die Behauptung, die Figuren folgten platten Klischees. Sie bedienen in ihrer Brüchigkeit gleich deren mehrere. Ein bißchen Historie wird so in jedes Bild gerührt, schließlich hat man im sogenannten soziokulturellen Umfeld von Wagners Ring herumgeschnüffelt; ein bißchen Atmosphärisches aus dem Ballettsaal, denn die Offenlegung der eigenen Arbeitsprozesse gehört zum aufgeklärten Kunstwerk; ein bißchen Schnickschnack der zum ewigen Mythos jugendlichen Aufbegehrens eingefrorenen sechziger Jahre - so was wirkt im Opernhaus wie der letzte Schrei.

Trivialität und Eklektizismus wären dem einstigen Idol der Tanzwelt noch zu verzeihen, würde Bejart in seiner Choreographie überraschen, packen oder berühren. Doch selbst jeder tragische Tod ist nicht mehr als der künstlich gebremste Aufprall eines Körpers auf dem Bühnenboden. Reicht es für stundenlange Befriedigung, daß die Oberschenkelknochen von Bejarts gesamter Compagnie de Ballet mühelos in ihren Hüftgelenken kreisen? Dein Bein, das unbekannte Wesen. Was nützt der über den Kopf hinausgestreckte Fuß, wenn dadurch die Linie der Arabeske gebrochen wird und der Bewegungsfluß ständig zu Posen erstarrt. Eine Leistungsschau der Grätschen, der bis ins äußerste auseinandergezogenen Glieder, der sich selbst zerreißenden Körper, gymnastisch und artistisch. Bejarts Fähigkeit zur Integration neuer Tanztechniken scheint sich erschöpft zu haben, als er damals den geflexten Fuß, den Energiekick aus dem Solarplexus und den Hüftschwung der Rock'n'Roller als Gipfel des erotisierten Körpers in seine Ballettsprache aufnahm. Was sonst noch an stilistischer Differenziertheit in seiner Choreographie stecken mag, verliert sich als sekundäres Detail, bedeutungsloser als Perücken und Pappschwerter. Ein trauriges Schauspiel bleibt diese Virtuosität der Solisten, die nur in wenigen Rollen und Szenen über ihre pure Könnerschaft hinausweisen.

Teile des Wagnerlibrettos trägt der Sprecher Michael Denard zur Klavierbegleitung von Elizabeth Cooper vor, um die schöpferische Aura eines behutsamen Wagnerstudiums zu verbreiten. Die befremdliche, an Alliterationen und Lautmalereien reiche Sprache schwebt dann wie ein Stummfilmzwischentitel oder eine Sprechblase über den Kraftmeiergesten der Helden, die zunehmend Comicfiguren gleichen. Ausschnitte einer voll orchestrierten Fassung der Operntetralogie spielt ein deutlich sichtbares Tonband ein. Da nehmen sich die mit all ihrer Energie agierenden Tänzer gegen das Volumen der elektronisch verstärkten Stimmen wie erbärmlich zappelnde Marionetten aus, die einer unerreichbaren Vision ihrer eigenen Größe hinterherrennen.

Angeblich finde sich die Problematik des Rings zwischen Gesetz und Freiheit, Diziplin und Anarchie, zwischen der notwendigen Energie und dem zerstörerischen Feuer in der Erfahrung seiner Ballettcompagnie, ihrem Zusammenleben und der täglichen, mühsamen Suche nach dem Ausdruck wieder, das war ein Ausgangspunkt Bejarts für seine Kommentierung des Rings. Mit Bildern und Tanzschritten wollte er ein wortloses Buch der Ideen zu Wagner schreiben; fragmentarisch, ohne endgültige Lösungen, als Offenbarung der eigenen Konflikte. Doch herausgekommen ist nur das Geständnis, er habe dem Glanz des Rings nicht widerstehen können. Freiheit und Gesetz haben sich längst da verabschiedet, wo der Automatismus einer Tanzmaschine Regeln und Tempo vorgibt.

Katrin Bettina Müller

Am 7. und 8. März wurde „Der Ring um den Ring“, eine Koproduktion der Deutschen Oper Berlin und des Bejart Ballet Lausanne, uraufgeführt. Weitere Aufführungen der Bejart -Compagnie sind in Venedig, Lausanne und Paris geplant. Für die nächste Spielzeit wird das Ballett der Deutschen Oper Bejarts „Ring“ einstudieren.

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