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„Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen“

UEFA-Cup: Hamburger SV - Juventus Turin 0:2 / Ein wohlfrisierter Namenloser als Sündenbock des Debakels  ■  Aus Hamburg Jan Feddersen

„Lassen Sie mich keine Namen nennen“, bat HSV-Trainer Gerd -Volker Schock auf der Pressekonferenz nach dem 0:2 seiner Spieler gegen den vermeintlich besiegbaren, 22maligen italienischen Meister Juventus Turin. Man wußte: Er traute sich nur nicht, „Beiersdorfer“ zu sagen. Denn der 26jährige Verteidiger schenkte den Kickern des Fiat-Bosses Agnelli beide Tore.

Beim ersten, in der 51. Minute, stand er untätig dabei, als Casiraghi den Ball dem Abstauber Salvatore Schillaci direkt vor die Füße servierte, anderthalb Meter vom Tor des HSV -Keepers Richard Golz entfernt. Schillaci, dem von der Hamburger Elf während des ganzen Spiels großzügig Platz zur persönlichen Entfaltung gelassen wurde, brauchte nur noch einzuschieben. Die 40.900 HSV-Anhänger verstummten, verkniffen sich allerdings zu pfeifen.

Sechs Minuten später flankte Giancarlo Marocchi in der Nähe des HSV-Tores elegant auf seinen Kollegen Pier Luigi Casiraghi und der unmittelbar neben diesem stehende Beiersdorfer guckte gelassen zu, als „Pierino“ gekonnt zum 2:0 einköpfte. Ein FC St. Pauli-Fan im munteren Juventus -Zuschauerpool: „Soll mal lieber mehr trainieren, statt immer nur seine Haare zu kämmen.“ Und Gerd-Volker Schock erhörte den Ratgeber, schickte Holger Ballwanz aufs Feld und Beiersdorfer unter den Fön.

Doch zu spät. Begleitet von „Juve, Juve„-Rufen, angefeuert durch fröhliche Choräle der 1.500 italienischen Fans in der Ostkurve, hatten die Norditaliener ihre Gegner voll im Griff. Der HSV, völlig demoralisiert, scheiterte nun nicht erst an Turins Verteidigern, sondern bereits im Mittelfeld. Andreas Merkle, Sascha Jusufi und Harald Spörl - sie waren nicht allein spielerisch überfordert, nein, vor allem ihre Kollegen in der Abwehr machten ihnen einen Strich durch jede sinnvolle Spielplanung. Michael Schröder, ruppiger Abwehrmann, schien den Ball sogar so stark zu hassen, daß er ihn stets ekelerregt und raumgreifend in Richtung Turiner Tor drosch - meist auf den Kopf oder den Fuß eines Juventus -Kickers.

Lediglich ein einziges Mal wurden die HSV-Herzen auf eine harte Probe gestellt: Und das passierte schon in der 27. Minute, als nämlich Sascha Jusufi aus 25 Metern Entfernung direkt aufs Tor schoß - und fast auch getroffen hätte. Doch Juves Tormann Stefano Tacconi fischte das Leder mit leichter Handbewegung noch aus dem rechten oberen Torwinkel. Das war's für die Hamburger an Chancen - mehr glückte ihnen nicht.

Am Ende hieß es, wenn Nando mitgespielt hätte, der Anfang des Jahres vom HSV eingekaufte Brasilianer, ja dann... Doch Nando, der in zwei Bundesligaspielen drei Tore erzielt hatte, durfte nicht, weil er erst während der Saison nach Hamburg gekommen war. Doch auch mit ihm wären die Turiner für den HSV zwei Nummern zu groß gewesen - gehässig war's also von den Turiner Schlachtenbummlern, auch noch „Auf Wiedersehen, Auf Wiedersehen“ Richtung Westkurve zu singen. Gemein und fies auch, daß sie noch auf dem Nachhauseweg „St.Pauli, St. Pauli“ anstimmten.

Gerd-Volker Schock, Typ freundlicher Nachbar, focht das nicht an: Er weiß, daß ein guter Trainer immer auch ein guter Theologe sein muß. Er sprach: „Jetzt habe ich vierzehn Tage Zeit zum Nachdenken. Ich bin sicher, wir haben noch eine Chance.“ Sein Kollege Dino Zoff, italienisches Fußballdenkmal, Trainer der Juventus-Elf und 1983 dabei, als die Norditaliener dem HSV beim Endspiel um den Landesmeisterpokal mit 0:1 unterlagen, strahlte: „Ich bin wirklich zufrieden. Schöne Tore, ein schönes Spiel.“ Ob Giovanni Agnelli, Fiat-Boß, ihn immer noch zum Saisonschluß kündigen möchte, bleibt offen. Immerhin soll er sich das ganze Spiel im Fernsehen angeguckt haben - ein Kompliment. Gelegentlich pflegt er einfach abzuschalten - der Mann ist schließlich, so heißt es, ein Gourmet.

Am allerglücklichsten zeigte sich indes HSV -Interimsvereinschef Horst Becker: Sein Verein, zu Anfang der Spielzeit noch mit 16 Millionen Mark in der Kreide, hat durch die Viertelfinalpartie im Volksparkstadion immerhin 3,5 Millionen Mark eingenommen. Einer Verlängerung der DFB -Lizenz stehe somit nichts mehr im Wege, „und das ist für mich, das können Sie mir glauben, derzeit das Wichtigste“.

HAMBURG: Golz - Schröder - Kober, Beiersdorfer (61. Ballwanz) - Moser (75. Marin), Spörl, Jusufi, von Heesen, Eck - Furtok, Merkle

TURIN: Tacconi - Bonetti - Brio, Bruno - Galia, Alejnikow (84. Serena), Marocchi, de Agostini, Barros (73. Alessio) Casiraghi, Schillaci

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