: Die alternativprotzigen Westler?
■ Gespräch mit Gerald Kirchner, Physiker an der Bremer Universität
Frage: Alle fahren in die DDR, um deren Energieprobleme zu lösen: Bundesumweltminister und Reaktorsicherheitshüter, Klaus Traube und Grüne Abgeordnete morgen Tausende der Anti -AKW-Bewegung der BRD. Was bleibt da noch von der DDR übrig? Gerald Kirchenr: Ich denke, daß das zwei Aspekte hat. Der eine ist der, inwieweit wir westliche Probleme, die für uns und unsere Geschichte wichtig sind, den Leuten in der DDR aufschwatzen. Der andere Bereich ist der, daß man auch aufpassen muß, daß man nicht das Spiel der konservativen Politiker und Industriegruppen mitmacht, die ja so massiv ihre Interessen in die DDR reintragen. Aber die Demo morgen in Stendal ist doch nicht im Interesse der Siemens/KWU?
Vor zwei Wochen hat der niedersächsische Atomexperte der Grünen, Hannes Kempmann, auf einer Sitzung in Magdeburg gefordert, daß Greifswald abgeschaltet, der Bau von Stendal eingestellt werden und stattdessen die Stromversorgung der DDR durch Buschhaus und Offleben sichergestellt werden solle. Es gibt wenig Sätze, in denen so viel politische Dummheit komprimiert ist. Erstens weil wir aus guten Gründen vor fünf, sechs Jahren massiv gegen Buschhaus ge
kämpft haben, und Hannes Kempmann damals mit beteiligt war. Das andere Kraftwerk Offleben ist dasjeneige, das wegen Buschhaus stillgeegt werden sollte, weil die SO2-Emissionen noch einmal um den Faktor zehn höher sind als in Buschhaus. Das dritte ist, daß nichts den Interessen der Preußen -Elektra mehr entspricht, als wenn sogar Grüne fordern, daß der Überschußstrom in die DDR geliefert wird. Das vierte ist: Je schneller eine eigenständige Energieversorgung in der DDR kaputtgeschlagen ist, desto schneller wird dort Siemens/KWU ihre Atomkraftwerke bauen. Man darf den bundesdeutschne EVUs durch solche Forderungen nicht den Markt öffnen.
Ich habe auch Schwierigkeiten mit der Argumentation: Wir müssen nach Greifswald, weil wir im Falle eines Unfalls betroffen sind. Die Sicherheitsmängel, die von Greifswald gemeldet werden, das ist eine Mängelliste, die genauso in Stade, Lingen, Brokdorf, Esensham erstellt sein könnte. Ich sehe von der technischen Seite her erst einmal keinen großen Unterschied zwischen DDR und westlichen Reaktoren. Wir müßten eigentlich verstärkt wieder nach Stade fahren.
Nun war aber gerade die Solidarität der verschiedenen, von atomaren Großprojekten bedrohten Regionen ein wesentlicher Faktor in der Anti-AkW-Bewegung. Sollen denn die AKW -GegenerInnen nicht nach Stendal fahren, wenn sie vorher nach Wackersdorf, nach Cattenom, nach Gorleben gefahren sind?
Ich will hier nicht den Isolationisten spielen. Ich sehe auch, daß wir mit 15 Jahren Atomenergie Erfahrungen und Informationen haben, die die dort nicht besitzen. Wir müssen nur aufpassen, daß wir nicht als die alternativprotzigen Westler dort auftauchen und wir sozusagen den Widerstand in der DDR organisieren: Ich hätte überhaupt keine Schwierigkeiten, wenn es hieße: Meßt doch mal was für uns, aber wenn klar ist, daß die Umsetzung durch DDR-Gruppen passiert. Das ist das, was ich mir erträume. Ich habe die Horrorvorstellung, daß ich irgendwann einmal in der DDR auf einem Erörterungstermin für eine Siemens/KWU-Anlage sitze, vor mir der Delegationsleiter der KWU, mit dem ich dieses Ritual schon 15 mal durchgezogen habe, und wir machen vor der Kulisse der DDR die 16 Vorstellung. Fragen: ma
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