: Bonn apart: Täter und Tätige
■ Das große Geheimnis, was eine Abgeordnetentätigkeit ist
Bundestagsabgeordnete sind Politiker - das ist Weisheitsniveau sechste Klasse Volksschule. Wer nun aber daraus folgert, Abgeordnete machten Politik, liegt falsch. Richtig ist: sie verrichten Abgeordnetentätigkeit. Und diese Tätigkeit hat mit Politik nicht das geringste zu tun zumindest wenn man der Direktion des Deutschen Bundestags glauben mag.
Anlaß zur Klärung dieser höchstwichtigen Frage sind zwei Abgeordnete der Grünen, Siggi Fries und Tay Eich, beides entschiedene Zweistaatlichkeitsvertreterinnen. Sie haben ihr Abgeordnetenbüro als Kontaktadresse für die bundesweite Demonstration gegen Wiedervereinigung zur Verfügung gestellt, die für den 12.Mai in Frankfurt geplant ist. Diese Aktivität rief den Unwillen der Unionschristen und nachfolgend den der Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth hervor. „Die Büroräume des Deutschen Bundestags und ihre Einrichtungen sind den Fraktionen ausschließlich für Zwecke der Abgeordnetentätigkeit (...) zugewiesen worden“, schrieb deshalb der Bundestagsdirektor Bücker an die Fraktion der Grünen: eine „Nutzung für andere Zwecke (...) stellt einen Mißbrauch dar“.
Wie dürfen Abgeordnete also tätig sein? Sollen PolitikerInnen nicht ihre Meinungen vertreten? Das schon, räumt Direktor Bücker ein. Der Vorgang aber sei nicht mehr parlamentarische Arbeit. Irgendwo müsse es „Grenzen geben“, sonst komme „alles ins Rutschen“.
Die Grenzen der Tätigkeit sind offenbar schwer zu ziehen. Wie die Aktion eines CDU-Abgeordneten in dieses Raster paßt, der dazu aufrief, sich über sein Büro zum Weihnachtsfest einen „Zoni“ einzuladen? Dieser Fall ist Direktor Bücker angeblich nicht bekannt. Auch die große Landkarte in den Räumen der Bundestagsfraktion der Unionschristen, die Deutschland in den Grenzen von 1937 zeigt, scheint außerhalb der angeführten Grenzen zu liegen. Auf Beschwerden von der SPD antwortete Präsidentin Süssmuth jedenfalls, sie dürfe in die Tätigkeiten der CDU/CSU-Fraktion nicht eingreifen.
So bleibt weiterhin die Frage offen, was Abgeordnetentätigkeit ist. Nur eines läßt sich jetzt schon ablesen: daß am liebsten die Regierungsfraktion bestimmen möchte, welches die richtige Politik ist, die im Parlament betrieben werden darf.
Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen