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Zahlen lügen

■ Traue keiner Statistik: Ausländer sind nicht krimineller als Deutsche

Der Autor, Christian Traulsen, hat für diesen Beitrag im Wettbewerb Reporter der Wissenschaft den mit 3.000 DM dotierten Sonderpreis für ein Thema aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften der Stiftung Öffentlichkeitsarbeit für die Wissenschaft e.V., Bonn, erhalten.

Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast! Mißtrauen ist gegenüber statistischen Aussagen immer angebracht. Daß Zahlen schlicht falsch - oder gar gefälscht

-sind, ist jedoch nur eine mögliche Fehlerquelle. Auch absolut zuverlässiges Zahlenmaterial garantiert noch keine richtigen Erkentnisse. Leicht werden falsche Schlüsse gezogen, falsche Ergebnisse abgeleitet. Und diese bringen dann bisweilen ganze Bevölkerungsgruppen in Mißkredit. So geschehen im Falle der Ausländerkriminalität. Lange galt es als sicher, daß Ausländer häufiger straffällig würden als Deutsche - im Durchschnitt dreimal so oft, wie man meinte. Nun konnte bewiesen werden: Die Statistik täuscht. In Wahrheit unterscheiden sich die Kriminalitätsraten von Deutschen und Ausländern nicht.

Wer Zahlenmaterial über die Kriminalität in der Bundesrepublik benötigt, greift zur polizeilichen Kriminalstatistik. Dort findet er genau aufgelistet, wieviele Straftaten der Polizei im Laufe eines bestimmten Jahres bekannt werden, untergliedert nach Delikten (etwa Raub, Erpressung, Sachbeschädigung), nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit der Täter. Den Angaben läßt sich entnehmen, daß 20 Prozent aller Tatverdächtigen Ausländer sind. Diese aber machen nur 7,6 Prozent der Bevölkerung aus. Die Kriminalitätsbelastung der ausländischen Bevölkerung scheint also fast dreimal so hoch zu sein wie die der deutschen.

Der Schluß, daß Ausländer einfach „krimineller“ sind, scheint nahe zu liegen. Im Bewußtsein von Bevölkerung, Medien und Politikern hat sich diese Ansicht denn auch längst festgesetzt. Die Folgen sind nicht nur für die Ausländer selbst, sondern auch für Deutsche fatal. Ausländern begegnet Ablehnung, ja Haß; der Ruf nach härterem Durchgreifen, nach einer Verschärfung des Ausländerrechts wird laut. Unter Deutschen wachsen Mißtrauen und Angst. Die Atmosphäre im Land wird vergiftet, die Chancen schwinden, zu einem fruchtbaren Zusammenleben zu gelangen.

Dabei ist das alarmierende Bild vom verbrecherischen Ausländer mittlerweile als statistisches Phantom entlarvt. Die Kriminologen Prof.Michael Walter aus Köln und Dr.Monika Traulsen aus Stuttgart nahmen die Statistik genauer unter die Lupe. Dabei stießen sie auf ein ganzes Bündel von Faktoren, die Statistik verzerren - mit der Folge, daß die Ausländerkriminalität höher erscheint als sie tatsächlich ist.

Punkt eins: reine Ausländerdelikte

Ungefähr ein Fünftel aller Straftaten von Ausländern betrifft Verstöße gegen das Ausländerrecht. Wie der Aufenthalt in der Bundesrepublik ohne gültigen Paß oder ohne Aufenthaltserlaubnis. Das sind Taten, die ein Deutscher überhaupt nicht begehen kann. In einem fairen Vergleich darf man solche Delikte nicht miteinbeziehen.

Punkt zwei: häufigere Anzeige

Gerade weil Ausländer als krimneller gelten, werden sie leichter verdächtigt und von der Bevölkerung schneller angezeigt - selbst wegen bloßer Bagatellen. Mancher Ladenbesitzer einigt sich mit einem deutschen Ladendieb gütlich, meldet jedoch Ausländer sofort der Polizei. Ähnlich verhält es sich bei kleinen Unterschlagungen am Arbeitsplatz. Ein Vorurteil treibt die Statistik in die Höhe, und anschließend dient die Statistik zur Bestätigung des Vorurteils: So werden Randgruppen kriminalisiert.

Punkt drei: Dunkelfeld der Bevölkerung

Für die von Ausländern begangenen Straftaten ist die ausländische Wohnbevölkerung verantwortlich, die Mitbürger also, die in der Bundesrepublik polizeilich gemeldet sind. So wird gewöhnlich angenommen - zu Unrecht. Denn immerhin ein Viertel dieser Straftaten geht auf das Konto von Leuten, die nie einen Meldezettel ausgefüllt haben: Soldaten ausländischer Streitkräfte und ihre Familienmitglieder, Touristen, Durchreisende und Personen, die sich illegal in der Bundesrepublik aufhalten. Deren Taten werden der ausländischen Wohnbevölkerung in die Schuhe geschoben.

Punkt vier: soziale Situation

Bestimmte Bevölkerungsgruppen geraten häufiger mit dem Gesetz in Konflikt als andere - ganz unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit: Großstadtbewohner, junge Männer, Personen ohne Berufsausbildung und mit niedrigem Einkommen. Genau diese Gruppen sind aber bei der ausländischen Bevölkerung viel stärker vertreten als bei der deutschen. Darum ist es falsch, die Ausländer einfach mit der deutschen Gesamtbevölkerung zu vergleichen. Stattdessen müßte man ihnen diejenigen Deutschen gegenüberstellen, die in einer ähnlichen Situation leben.

Das Fazit der Untersuchungen: Leider lassen sich nicht alle Verzerrungsfaktoren einfach aus der Statistik „herausrechnen“, um doch noch zu vergleichbaren Zahlen zu kommen. Doch auch ohne völlig exakte Berechnungen steht für Prof.Walter fest: „Diese These von der Höherbelastung kann im Ergebnis nicht belegt werden.“ Mit anderen Worten: Ausländer sind nicht krimineller.

Daß die Zahlen irreführend sind, weil viel zu hoch - darauf weist inzwischen die Polizei selbst in der Kriminalstatistik ausdrücklich hin. In das Bewußtsein von Bevölkerung, Medien und Politikern sind die neuen Erkenntnisse jedoch noch nicht eingedrungen. Sie könnten dazu beitragen, die Diskussion über die Ausländerproblematik von Emotionen freizumachen. Und Sachlichkeit tut not, wenn es Probleme zu lösen gilt. Zu wünschen wäre etwas weniger Vertrauen in die Statistik, aber etwas mehr Vertrauen in unsere ausländischen Mitbürger.

Christian Traulsen

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